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Wo der Wolf lauert

Wo der Wolf lauert

Ayelet Gundar-Goshen

Hardcover
2021 Kein & Aber
Auflage: 3. Aufl.
352 Seiten; 30 mm x 124 mm
ISBN: 978-3-0369-5849-1

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Besprechung
»Die Übersetzerin hat ihren Job mit Bravour gemeistert und verdient großes Lob für ihre herausragende Leistung.« Orith Tempelman, Wendezeit Magazin, 13.7.23 Wendezeit Magazin 20230713

Kurztext / Annotation
Ein psychologisch raffinierter Roman über die langen Schatten unserer Herkunft und darüber, dass uns oft die Menschen das größte Rätsel bleiben, die wir am besten zu kennen glauben: unsere Kinder.

Langtext
Lilach Schuster hat alles: ein Haus mit Pool im Herzen des Silicon Valley, einen erfolgreichen Ehemann und das Gefühl, angekommen zu sein in einem Land, in dem man sich nicht in ständiger Gefahr wähnen muss wie in ihrer Heimat Israel. Doch dann stirbt auf einer Party ein Mitschüler ihres Sohnes Adam. Je mehr Lilach über die Umstände des Todes erfährt, desto größer wird ihr Unbehagen: Ist es möglich, dass Adam irgendwie damit in Verbindung steht?

1

Ich sehe im Geist diese winzigen Fingerchen, die eines Neugeborenen, und versuche zu begreifen, wie sie zu den Fingern eines Mörders heranwachsen konnten. Der tote Junge heißt Jamal Jones. Auf dem Bild in der Zeitung sind seine Augen samtschwarz. Mein Junge heißt Adam Schuster. Seine Augen sind blau wie das Meer von Tel Aviv. Es heißt, er habe ihn umgebracht. Aber das stimmt nicht.

2

Ich heiße nicht Lila. Die Amerikaner haben Mühe, Lilach zu sagen, deshalb nennen mich hier alle Lila. Aber ich heiße nicht Lila. Mit Michael ist es leicht. Sie sprechen seinen Namen einfach Maikel aus. Er korrigiert sie nie. Das wäre unhöflich. Und während ich mich immer mit »Lilach« vorstelle und die neue Bekanntschaft vom Zweifel profitieren lasse, ob sie mich in Lila verwandelt - was ich zwar ohne Protest hinnehme, aber nicht unterstütze -, sagt Michael »Maikel«. Er behauptet, das sei egal, beinahe dasselbe. Doch in meiner Fantasie hat, als sie ihn viereinhalb Monate nach Jamals Tod an den Polygrafen anschlossen und nach seinem Vornamen fragten, bei der Antwort »Maikel« die Nadel gezittert. Wenn wir miteinander schlafen, nenne ich ihn Michael. Einmal habe ich ihn Maikel genannt, und das fühlte sich an, wie mit einem anderen zu schlafen. Als Adam geboren wurde, bekam er einen neutralen Namen. Einen, der auf Hebräisch und Englisch funktioniert. Einen Namen, der den Amerikanern durch die Kehle rinnt wie guter kalifornischer Wein, ihnen nicht im Hals stecken bleibt wie Lilach und Michael, die gleich beim ersten Hören signalisieren: nicht von hier. Wir haben ein Kind in den USA großgezogen. Haben seine israelische Identität im Schrank verstaut, zusammen mit den Fußballpokalen, die Michael vom Gymnasium aufbewahrt - zur Erinnerung, nicht weil sie irgendeinen Nutzen hätten. Wir haben ein amerikanisches Kind großgezogen, das mit amerikanischen Kindern in die Highschool geht, und jetzt soll es ein anderes amerikanisches Kind umgebracht haben.

3

Jamal Jones. Dein Gesicht sieht gutmütig aus, aber deine Größe wirkt bedrohlich. Deine Schultern sind breit, der - maßen breit, dass sie dich womöglich selbst überrascht. Vielleicht ist es schnell gekommen, ein sommerlicher Wachstumsschub, bei dem du dich, ohne Vorwarnung, von einem schmalen, kleinen Jungen zu einem großen, breiten Teenie entwickelt hast. Aber das Gesicht hat das Tempo nicht mithalten können, der Körper ist in die Länge und Breite gewachsen, doch die Augen sind noch die eines Kindes - genauso wie die Lippen, ohne den geringsten Bartansatz, ein bisschen vorgeschoben, kindlich süß irgendwie. Nachts auf der Straße hätte ich Angst vor dir gehabt. Hätte nicht innegehalten, um in deine Augen zu schauen, die mir jetzt, auf dem Zeitungsfoto, gütig und sympathisch vorkommen. Wahrscheinlich wäre ich einen Schritt schneller gegangen. Hätte die Hand in die Tasche gesteckt, um mich zu vergewissern, dass das Telefon da ist, für alle Fälle. Ich wäre auf die besser beleuchtete Straßenseite gewechselt und hätte abgewartet, bis du - ein breitschultriger Schwarzer - um die nächste Ecke verschwunden wärst. Und hätte ich Adam dabeigehabt, wäre ich doppelt nervös gewesen. Nicht nur eine Frau auf der Straße und ein schwarzer Mann hinter ihr, sondern eine Frau mit einem Kind, das beschützt werden muss. Dass ihr im gleichen Alter wart, spielt keine Rolle. Du warst ein Mann, Jamal, und Adam ist ein Kind. Klein und schmächtig und die Schultern ein bisschen hängend, wie ein Vogeljunges, das noch nicht flügge ist. Und deshalb verstehe ich es nicht. Dein Foto in der Zeitung. Die gutmütigen Augen. Die breiten Schultern. Kaum vorstellbar, dass ich die ganze Zeit Angst vor dir hatte, wo du vielleicht Angst vor mir hättest haben sollen, vor dem, was ich hatte gebären können. Jetzt habe ich ständig Angst, Jamal. Angst vor allem. Damals habe ich mich noch nicht so viel gefürchtet, nur selten mal. Ich erinnere mich: Jeden Abend zogen

Gundar-Goshen, AyeletAyelet Gundar-Goshen, geboren 1982, studierte Psychologie in Tel Aviv, später Film und Drehbuch in Jerusalem. Ihrem ersten Roman Eine Nacht, Markowitz (2013) wurde der renommierte Sapir-Preis für das beste Debüt zugesprochen, 2015 folgte mit Löwen wecken ihr zweiter Roman, der international für Furore sorgte und zurzeit als TV-Serie verfilmt wird. Lügnerin, ihr dritter Roman, erschien 2017. Nachdem sie mit ihrer Familie einige Zeit in Kalifornien wohnte, lebt sie nun wieder in Tel Aviv. Achlama, RuthAyelet Gundar-Goshen, geboren 1982, studierte Psychologie in Tel Aviv, später Film und Drehbuch in Jerusalem. Ihrem ersten Roman Eine Nacht, Markowitz (2013) wurde der renommierte Sapir-Preis für das beste Debüt zugesprochen, 2015 folgte mit Löwen wecken ihr zweiter Roman, der international für Furore sorgte und zurzeit als TV-Serie verfilmt wird. Lügnerin, ihr dritter Roman, erschien 2017. Nachdem sie mit ihrer Familie einige Zeit in Kalifornien wohnte, lebt sie nun wieder in Tel Aviv.