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Die SchattenmacherinOverlay E-Book Reader

Die Schattenmacherin

Lilly Gollackner

E-Book (EPUB)
2024 Verlag Kremayr & Scheriau
192 Seiten
ISBN: 978-3-218-01425-0

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Kurztext / Annotation
Das Jahr 2068: Sengende Hitze, überdachte Städte, rationiertes Wasser. Und keine Männer mehr. Eine mysteriöse Seuche hat sie vor Jahrzehnten dahingerafft. Nur künstliche Fortpflanzung sichert den Fortbestand der Menschheit. Ruth, langjährige Präsidentin dieser Welt, bereitet die Amtsübergabe an die junge Ania vor. Die Junge möchte die Männer mit allen Mitteln zurückholen. Ruth stemmt sich dagegen, und sie hat gute Gründe. Der Generationenkonflikt zwischen den Frauen um Ressourcen, Macht und Identität stellt beide vor schicksalhafte Entscheidungen. Lilly Gollackner spiegelt in ihrem Debütroman zerrbildhaft die feministischen Kämpfe der Gegenwart in eine dystopische Zukunft. Ein erschreckend realitätsnahes literarisches Gedankenexperiment.

Lilly Gollackner, geboren 1978, aufgewachsen in Hallwang bei Salzburg. Journalistin, Autorin und Mediencoach. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. Für ihre journalistische Arbeit erhielt sie u. a. den Journalismuspreis 'von unten' für den Beitrag 'Arm und Reich in Österreich', den Prälat-Leopold Ungar-JournalistInnenpreis und die New York Festival Gold World Medal für die Dokumentation 'Schluss mit Schuld'.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

3

In der kühlen Kapsel des klimatisierten Automobils rasen die beiden Frauen über eine Fläche aus Kies und Sand. Über ihnen das Strahlen eines erbarmungslosen Himmels, wie ein nach oben gekippter Ozean, taubenblau, soweit das Auge reicht. Keine Wolkenufer, keine Ränder. Verlässt man den Schutz der Kuppeln, gerät man ohne die notwenige Technologie in Seenot und ertrinkt in der glühenden Hitze des endlosen Blaus.

Alev hat einen Zweisitzer bestellt. Auf der Landkarte am Armaturenbrett kriecht ihr Navigationspunkt auf hellbraunen Flächen dahin. Ruths Display liegt auf ihrem Schoß, sie versucht, die Zeit zu nützen. Nicht Ania: Die klebt mit ihrer Wange an der verdunkelten Scheibe, die Pupillen jagen von links nach rechts. Wie ein Tier, das zum ersten Mal den Käfig verlässt, denkt Ruth. Diese Kinder sind unter den Kuppeln aufgewachsen. Die junge Frau muss sich fühlen, als würde sie frei im Weltall treiben.

»Hast du Angst?«, fragt Ruth.

Ania reißt den Kopf in ihre Richtung. Wieder das zehnjährige Kind, das versucht, eine Erwachsene zu spielen. Sie kann ihre Aufregung so schwer verbergen.

»Wovor?«, fragt Ania.

Ruth antwortet nicht. Die Liste wäre zu lang.

Als sie die Grenze der Stadt passieren, werden die Trümmer der aufgegebenen Gebiete sichtbar. Die Folgen des ersten Verdichtungskriegs, als die Horden von Osten kamen. Was geblieben ist, sind marode Hauswände, die fast in sich selbst zusammenstürzen und auf splitternden Balken durchlöcherte Dächer halten. Und schwarz verkohlte Wälder.

»Wie heißt dieser Bezirk?«, fragt Ania.

»Es gibt keine Einwohner mehr, niemand spricht über ihn«, sagt Ruth schroff. »Wozu braucht er einen Namen?«

Die schwarzen Striche in Anias Gesicht kräuseln sich gefährlich. Ruth seufzt.

»Berling«, sagt sie schließlich. »Das war Berling.«

Dann kommt Vorstadt, dann Stocksen. Jeder Name ein Splitter in Ruths Seele. Die Stadt zu verlassen bedeutet, durch die Vergangenheit zu reisen und zu wissen, was man verloren hat. Das ist der Preis, den das Alter mit sich bringt.

Die Landschaft, durch die sie jetzt fahren, ist flach und ereignislos. Haferfarbene Erde, die nicht die Kraft hätte, jemals wieder Hafer zu halten. Dazwischen Anger aus weißen Felsen. Furchen, die die Trockenheit in den Boden gerissen hat. Eine Stunde fahren sie schon dahin. Ania ist schweigsam geworden. Ihre Augenlider senken sich. Die Hände liegen im Schoß. Ruth kann so nicht arbeiten.

»Es macht dich traurig, das alles zu sehen«, sagt sie.

Ania blinzelt misstrauisch. Die alte Frau dreht sich zur jungen: Zum ersten Mal, seit sie in ihre Obhut gegeben wurde, möchte Ruth, dass Ania ihr zuhört.

»Merk dir dieses Gefühl«, sagt sie.

Sie legt ihre Hand auf Anias knochige Schulter. Ania starrt sie an. Ruth sagt:

»Mein Terminkalender ist voll, genauso wie deiner ab dem heutigen Tag. Und du könntest glauben, dass es das ist, warum es uns gibt: Termine. Entscheidungen. Reden. Doch die Wahrheit ist: Wir sind hier, um die Trauer zu vertreiben. Denn die Trauer lähmt uns und nimmt uns alles, wozu wir fähig wären. Sie wirft uns in eine bodenlose Leere. Wenn wir zurückschauen, wenn wir uns vor Augen führen, was wir alles hätten haben können - was hat dann noch Sinn? Merk dir dieses Gefühl, merk dir: Es liegt an uns, der Welt eine Zukunft zu schenken. Sei wütend, sei laut, sei stark. Beschütze die Menschen vor der Leere.«

Dann dreht sie die junge Frau sanft nach rechts.

»Da, schau!«

Wie aus dem Nichts schießen Zäune aus dem Erdboden neben der Straße, vier, fünf Meter hoch. Hürden, die unter Starkstrom stehen. Unüberwin