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Den Sommer im OhrOverlay E-Book Reader

Den Sommer im Ohr

Caleb Azumah Nelson

E-Book (EPUB)
2024 Kampa Verlag
304 Seiten
ISBN: 978-3-311-70469-0

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Kurztext / Annotation
Das Einzige, was Stephens Probleme lösen kann, ist Tanzen. Tanzen in der Kirche, wenn die schimmernden Schwarzen Hände zum Lobpreis erhoben werden. Tanzen mit seinen Freunden irgendwo in einem Keller, während der Bass wummert. Tanzen mit seiner besten Freundin Del, die ihn kennt wie niemand sonst, so eng, dass sich fast ihre Köpfe berühren.  Stephen mag seinen Glauben verloren haben, aber er glaubt an den Rhythmus. Aber was passiert, wenn die Musik verklingt? Wie geht es mit ihnen allen weiter, nach ihrem Abschluss, wenn sich alles verändert? Was kann ihnen Halt geben außerhalb ihrer kleinen Welt in Peckham, London, die ihnen vertraut ist?  Als sein Vater so alt war wie Stephen, war er schon aus Ghana nach London gezogen. »Ich bin nicht in dieses Land gekommen, damit meine Kinder ihre Zeit verschwenden«, sagt er. Wie viel von der Geschichte seiner Eltern gehört zu Stephen? Kann er sich etwas aufbauen, das ihm allein gehört? Anhand von drei Sommern, in denen Stephen von London nach Ghana reist und wieder zurück, erzählt der gefeierte Autor Caleb Azumah Nelson von den Welten, die wir uns selbst erschaffen, den Welten, in denen wir leben, tanzen und lieben.  

Caleb Azumah Nelson, 1993 in South East London geboren, ist Sohn ghanaischer Eltern, die bereits als Teenager nach Großbritannien kamen. Und in South East London lebt der Schriftsteller und Fotograf noch heute. Wenn er schreibe, fühle er sich wie ein improvisierender Jazzmusiker, sagt Nelson, und das Ergebnis sei »die ehrlichste, ja vielleicht die beste Version meiner selbst.« Seine Erzählungen erschienen in Literaturzeitschriften wie Granta und Litro. 2019 schmiss er seinen Job in einem Apple Store, um sich ganz auf das Schreiben zu konzentrieren. Sein Debütroman Frei Schwimmen wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Costa Book Award in der Kategorie Debüt und dem Somerset Maugham Award.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

3

Weil Sommer ist und wir bis September jung sind, bin ich nicht der Einzige, der spät aufsteht. Während ich durch die Siedlung laufe, sehe ich einen Mann, der mein Spiegelbild sein könnte, vorsichtig die Tür schließen und zusammenzucken, als sie mit einem Klacken zugeht. Er sieht, dass ich ihn sehe, und zuckt mit den Schultern, bevor er den Kragen seiner Hemdjacke zurechtrückt und leicht nach vorn geneigt davonschwingt. Ich folge ihm, vorbei an ein paar Jungs, die in einer Unterführung an der Wand lehnen und laut überlegen, was sie heute Abend anstellen sollen. Einer will unbedingt auf eine Party in Deptford. Sie sticheln ihn, bis er mit der Sprache rausrückt: Sein Schwarm wird da sein, und er hofft, sie endlich anzusprechen. Rufe aus dem Chor: »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Weil Sommer ist und wir bis September jung sind, tun sie alles für ihre Brüder, ob blutsverwandt oder nicht. Weiter, vorbei am Sportplatz, wo die Fußballer schon früh das kleine Spielfeld eingenommen haben und ein junger Mann den Ball so vollkommen beherrscht, als gehöre er ihm und nur ihm. Vorbei an Uncle T, wo, weil Sommer ist, Dub an den Scheiben rüttelt und ein Pfiff durch das geöffnete Fenster dringt. Ich sehe seine weichen Dreadlocks, zum Dutt hochgesteckt, darunter ein freundliches Gesicht und ein Mund voller Gold. Er singt Bob Marleys »Waiting in Vain« wie für eine Geliebte in der Abenddämmerung, aber ich weiß, dass er allein ist. Ich hebe die Hand zum Gruß, er grüßt zurück, und in dem Moment schieben sich Erinnerung, Bild und Möglichkeit übereinander: Uncle T, der für eine ferne Geliebte singt; mein Vater in seinen Zwanzigern, der überlegt, in welcher Ecke von London er feiern gehen soll, um sich frei zu fühlen; ich in ein paar Jahren, wie ich versuche, nicht an die Tür einer Fremden zu klopfen, mit der ich durch die Nacht gezogen bin. Was wird aus der Zeit, wenn der Sommer da ist?

*

Auntie Yaa hat mit Sicherheit den größten afrokaribischen Laden in Peckham, vielleicht in ganz Südlondon. An der Ecke Rye Lane und Peckham High Street, gleich neben der Bücherhalle, gibt es alles, was die Menschen brauchen, die sich hier, weit weg von der Heimat, eine Existenz aufbauen wollen. Süßkartoffeln, Kochbananen, Kenkey und Fufu-Brei, Auberginen, Okra und Scotch Bonnets, kistenweise getrockneten Fisch und Supermalt. Für Auntie, wie für die meisten von uns, sind Lebensmittel nicht nur Nahrung, sondern Erinnerung, Nostalgie, eine Möglichkeit, die Sehnsucht zu stillen. Sie kümmert sich auch darum, wenn man ein Stück vom neuen Leben nach Hause schicken will. Dorcas, eine Stammkundin, schickt ihrer Schwester in Ghana jeden Monat eine Packung Weetabix, Ingwerplätzchen und Tetley Tea. Dorcas sagt, sie sei immer verantwortlich für die Einkäufe gewesen und hoffe, es fühle sich an, als wäre sie nie weggegangen. Bevor sie das Paket zuklebt, legt sie noch ein Foto von sich auf das Essen, damit ihre Schwester von ihrem Lächeln begrüßt wird.

An der Tür steht meistens Uncle T, der mit niemandem blutsverwandt ist, aber doch mit allen verbunden. Er ist ein fröhlicher Mann mittleren Alters und trägt eine Pilotenbrille mit Fensterglas. Mir war nie klar, ob er offiziell dort arbeitet, jedenfalls ist er nachmittags immer mit irgendwas zugange, zeigt den Kunden die Ware, lacht. Gegen Abend sieht man ihn dann mit einem Guinness in der Hand. Ich würde sagen, er ist so was wie der Security-Mann, aber das eine Mal, als er einschreiten wollte, als Rays Freund Koby atemlos in den Laden gerannt kam, um sich zu verstecken, und ein paar Minuten später mehrere Jungs reinkamen und wollten, dass wir Koby auslieferten, baute Uncle sich zwar vor ihnen auf, wurde aber von Auntie weggeschickt. Als Erstes fragte sie die Jungen, wer ihre Eltern waren. Dann wollte sie wissen, wer was in der Schule machte und wer beim Fußball am Wochenende das entscheidende