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Das Echo der GezeitenOverlay E-Book Reader

Das Echo der Gezeiten

Rebekka Frank

E-Book (EPUB)
2024 S. Fischer Verlag Gmbh
Auflage: 1. Auflage
576 Seiten
ISBN: 978-3-10-491895-2

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€ 16,99

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Kurztext / Annotation
Die wilde Schönheit der Nordseeküste, ein geheimnisvolles Schiffswrack und zwei Frauen, verbunden durch das Meer St. Peter, 1955: Tillas Welt ist das Meer. Sie will nicht heiraten, sondern tauchen. Nicht eingeengt werden, sondern die Freiheit der Wellen spüren. Dabei entdeckt sie in der Tiefe der Nordsee ein altes Schiffswrack, von dem sich die Fischer seit Generationen Legenden erzählen. In Tilla wächst der unbändige Wunsch, seine Geheimnisse zu lüften. Auf einer Nordseeinsel, 1633: Die junge Nes sucht mit ihrer Mutter in einem Beginenkonvent Zuflucht vor ihrer Vergangenheit. Doch bald wenden sich die Inselbewohner gegen die Frauen und gefährliche Anschuldigungen machen die Runde. Zeitgleich taucht am Horizont ein geheimnisvolles Schiff auf, das Rettung oder Verderben bedeuten könnte ... »Wie der Sog des Meeres zieht einen dieses Buch in seinen Bann - bis man staunend vor dem Ende steht wie vor einem gehobenen Schatz.« Miriam Georg, Bestsellerautorin von »Elbleuchten« und »Das Tor zur Welt«

Für Rebekka Frank steckt das Meer voller Geschichten. Wenn sie nicht gerade selbst in seinen Tiefen taucht, schreibt sie darüber. Sie hat Theaterwissenschaft und Germanistik studiert und lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund auf dem Land in Nordhessen. Auf Instagram und TikTok ist sie unter @rebekka.mit.k zu finden.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1. Kapitel

September 1960

Tilla Puls grub die Zehen in den heißen Sand und sah hinaus aufs Meer. Endlich war der Moment gekommen, auf den sie jahrelang hingearbeitet hatte. Ruhig und dunkelblau lag der Ozean vor ihr, und sein sanftes Plätschern wiegte sie in Sicherheit. Sie durfte seiner Stimme nicht immer trauen, das wusste sie - das hatte sie auf die harte Tour lernen müssen. Und noch konnte sie umdrehen und wieder gehen. Doch wenn sie ehrlich war, war das für sie keine Option, noch nie eine gewesen. Heute würde sie sich dem Meer anvertrauen, komme, was wolle. Sie würde ihm seine uralten Geheimnisse entlocken.

In der einen Hand hielt sie ihre Taucherbrille. In der anderen das Atemgerät. Der Wind riss an ihren Haaren. Wenn das Mädchen, das Tilla noch vor fünf Jahren gewesen war, sie jetzt so sehen könnte - was würde es denken? Wäre es stolz? Hätte es Angst?

Angst wahrscheinlich nicht, überlegte sie. Die Angst war erst in letzter Zeit zu ihr gekommen. Vielleicht gehörte sie zum Erwachsensein dazu. Vielleicht sickerte sie zusammen mit dem an der Universität vermittelten Wissen in sie hinein. Und vielleicht könnte Tilla sie wieder loswerden - zumindest für einen Moment -, wenn sie endlich aufbrach, endlich unterging, endlich schwebte. So wie früher, als sie noch nicht wusste, welchen Preis ein Abenteuer hatte. Und welche Macht das Meer.

Fünf Jahre zuvor ...

September 1955

Tilla Puls verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein und legte den Kopf schräg, so wie es Lotte Hass auf den Fotos in der Brigitte getan hatte. Seitdem Tilla den Artikel über die Taucherin gelesen hatte, war sie ihr größtes Idol. Zwar sagten viele, Tilla sähe aus wie Audrey Hepburn in Ein Herz und eine Krone, aber Tilla fand, dass sie sich irrten. Die Leute schauten einzig auf ihre dunklen Haare mit dem kurzen Pony. Sobald Tilla sie blond färben durfte, würde man ihre Ähnlichkeit mit Lotte nicht mehr übersehen können.

Tilla atmete den Duft des Meeres ein, während das Keuchen ihrer Freundinnen in ihrem Rücken lauter wurde.

»Mensch, Tilla!«, rief Hilde.

»Du bist viel zu schnell.« Auch Hannelore ächzte, und doch schwang in ihrer hohen Stimme ein klein wenig Bewunderung mit.

Tilla musste an die Worte ihrer Großmutter denken: »Das sind keine Freundinnen«, hatte sie gesagt, »das sind Bewunderer.«

»Quatsch, Oma. Und außerdem heißt das Fans.«

»Bitte, was?«

»Heutzutage nennt man das Fans.«

Ihre Großmutter hatte gegrinst. »So, so, die junge Dame hat also Fääänz.«

Tilla hatte seufzend den Kopf geschüttelt, doch sie wusste - von dieser Überzeugung konnte sie die alte Frieda Puls sowieso nicht wieder abbringen.

Hilde und Hannelore schlossen jetzt zu ihr auf. Beide trugen das gleiche Kleid wie Tilla. In der Taille war es mit einem Gürtel geschnürt, und sein Rocksaum flatterte in der Brise. In einer dramatischen Geste lehnte Hilde ihre erhitzte Stirn an Hannelores Schulter.

»Nun stellt euch mal nicht so an!« Der Satz rutschte Tilla einfach so raus, als würde ihre Mutter aus ihr sprechen. Augenblicklich schämte sie sich dafür und schob freundlicher hinterher: »Schaut doch, wie schön es hier heute ist!« Sie deutete in die Ferne, auf den Priel, der bis zum Deich brodelte, und die hölzerne Seebrücke, die über die Marschlandschaft weit hinaus zur gewaltigen Sandbank führte. Moderne Lampen bogen sich darüber, und vereinzelte Badegäste spazierten den Weg hinauf und hinunter. Am tiefblauen Himmel hing keine einzige Wolke. Man hätte meinen können, es wäre Sommer. Doch wer genau hinsah, bemerkte die Anzeichen des frühen Herbstes. Die hohe See in der Ferne war dunkel. Und dann war da noch die Brise. Sie zerrte und riss an ihnen, als wollte sie sie zurückhalten.

»Gehen wir weiter zur Brücke«, sagte Hannelore