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Der rechte Pfad

Roman | Astrid Sozio

E-Book (EPUB)
2024 Picus
450 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5505-6

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Kurztext / Annotation
Nach einem Unfall und von Schuldgefühlen geplagt flieht Benjamin aus der Stadt zu seinem Vater, in ein kleines Dorf im Sauerland. Dort verbrachte er in seiner Kindheit und Jugend die Ferien. Noch heute gelten in der Brüdergemeinde strenge, evangelikale Regeln. Als Teenager war Benjamin mit den Geschwistern Hanna, Lea und Gideon befreundet, machte seine ersten sexuellen Erfahrungen mit Gideon und verliebte sich schließlich in Hanna, die bei einem tragischen Ereignis ums Leben kam. Die traumatischen Erinnerungen an Welsum haben ihn 25 Jahre davon abgehalten, den Ort wieder aufzusuchen. Nun trifft ihn die Rigidität der Fundamentalisten umso heftiger, die in ihrer Hartherzigkeit immer neue Angst schaffen und die Nähe zu Rechtsextremen nicht scheuen.

Astrid Sozio, geboren 1979, studierte nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin unter anderem Wirtschaftswissenschaften in Deutschland und Creative Writing in England. Sie arbeitete als Buchhalterin, Texterin und Schuhverkäuferin mit Lebensstationen in Bochum, Frankfurt, Brüssel und London. Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. Ihr Debütroman »Das einzige Paradies« erschien 2016 (Piper). Astrid Sozio lebt in Hamburg.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

So wahr ich lebe, spricht dein Gott

»Am Ende ist einer tot«, sagt Maria und kann gar nicht hinsehen. Dabei hat sie extra Spiegel in die Obstbäume gehängt, um uns nicht aus den Augen zu verlieren, an den Tagen, an denen sie nicht aus dem Bett kommt. Dann muss sie sich nur aufsetzen, um uns zu sehen. Manchmal flattern ihre Haare aus dem offenen Schlafzimmerfenster. Die Spiegel in den Bäumen blitzen, wenn der Wind sie bewegt, und Licht tropft von unreifen Äpfeln und Birnen auf die Steinplatten, die einen Weg zwischen den Beeten hindurch bilden. Tritt bloß nicht auf die Erde! Der Alte hinter dem vergitterten Fenster im Erdgeschoss sieht alles und mit einem Blinzeln gefrieren die wässrigen Augen zu Eisstückchen, er kommt aus dem Laden und reißt sich im Vorbeigehen eine Rute von der Weide. Seine Strafen, Seine Schläge, unserer Seelen Wohlergehn.

Aber Gideon hört ihn immer kommen, und wir sind schneller, springen über den Bach, was verboten ist, rennen über die Kuhweide und in den Wald.

Der Wald ist auch verboten, aber tagsüber nicht ganz so sehr, wie wenn es dunkel wird. Unter den Bäumen ist es stickig, mehr Mücken in der hautwarmen Luft als Teufel in der Hölle. Ich atme durch meine Finger. Hinter den toten Bäumen kommt der See.

Gottes Antlitz auf der glatten, dunklen Oberfläche - bis Gideon hineinspringt. Hanna und Lea waten hinein. Nur ich traue mich nicht. Ich setze mich auf einen Baumstamm und pule Stückchen aus dem morschen Holz. Grünfaul, blaufaul, schwarzfaul.

Zwischen den Zweigen kann man schon den Mond sehen, als sie endlich aus dem Wasser kommen. Der Himmel ist noch hell, aber wir rennen trotzdem lieber. Gideon ist der Schnellste, obwohl Hanna und Lea fünf Jahre älter sind als er. Ich bin genauso alt wie er, und so langsam, dass sie nie aufhören werden, darüber zu lachen. Hanna läuft hinter mir, damit ich nicht im Wald bleibe. Wenn du hier nachts im Wald bleibst, verlierst du deinen Verstand. Der steigt hoch zum Mond und dann musst du jemanden finden, der ihn für dich zurückholt. Als wir an der Gärtnerei ankommen, ist Hanna nicht mehr da. Dabei habe ich sie gerade noch ganz dicht hinter mir atmen gehört.

Als Maria merkt, dass Hanna im Wald geblieben ist, schaut sie auf den Mond, der so tief hängt, dass die Baumkronen ihn beinah berühren.

»Ich habs gewusst«, sagt sie und klatscht in die Hände. Am Ende ist einer tot, sie hat es immer gesagt. Oder vielleicht ist Hanna unterwegs, Marias Verstand vom Mond zurückzuholen. Gut gelaunt geht Maria ohne Abendessen ins Bett. Wir hören sie singen, während wir essen.

Es gibt Brotsuppe, aber erst wird gebetet. Manchmal vergesse ich das, dann schauen die anderen mich grinsend an und ich lege schnell den Löffel hin und falte die Hände, senke den Kopf, schließe die Augen. Sie beten, ich bewege die Lippen und sage Amen, wenn alle Amen sagen.

Beim Essen wird nicht gesprochen. Die Löffel klingeln in den Suppentellern wie Kuhglocken. Einer hat einen Sprung und klingt ganz dumpf. Plötzlich knallt es, nicht hier, weiter weg, aber ich zucke trotzdem zusammen.

»Das is nur dein Vater, Benni«, sagt Gideon leise, »und auch nur ne ganz kleine Kugl.«

Er kann so was hören.

»Wahrscheinlich n Hase. Oder n Fuchs.«

Augen wie Karfunkelstein.

»Oder Hanna«, sagt Lea.

Gideon lacht: »Bennis Vater hat noch nie danebngeschossn.«

Lea lacht nicht. Sonst lächelt sie immer. Daran kann man sie und Hanna unterscheiden. Alles andere ist genau gleich.

»Trotzdem«, sagt der Alte, »sie hat schon recht: Wer heut is frisch, gesund und rot, is morgn krank, ja wohl gar tot. Kann keiner wissn.«

Er legt seinen Löffel in den Suppenteller, der leer ist, bis auf die aussortierten Zwiebelstückchen, und spricht jetzt ganz allein zu mir, denn Gideon und Lea, die wissen längst, dass sie morgens nur aufwachen, weil Gott es so will. Wenn Er irgendwann nicht mehr will, ist es vorbei