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Selbe Stadt, anderer PlanetOverlay E-Book Reader

Selbe Stadt, anderer Planet

Roman | Dominika Meindl

E-Book (EPUB)
2024 Picus
208 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5506-3

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Kurztext / Annotation
Die Ärztin Johanna übernimmt nach dessen Tod die väterliche Praxis in der vermeintlichen Idylle des Salzkammerguts. Dort erwarten sie ein Haus voller Erinnerungen, die Schönheit der Bergwelt und die Last des Overtourism, und nicht zuletzt ihre Zwillingsschwester Doris, die Tischlerin, die Hallstatt nie verlassen hat. Der chinesische Strategieberater Ren mit frühkindlicher Österreicherfahrung kehrt ebenfalls zurück - mit dem Auftrag der chinesischen Regierung, sich dieses Hallstatt einmal anzusehen, nach dem die chinesischen Touristen so verrückt sind. Als die Hallstatt-Kopie in China tatsächlich verwirklicht wird, reagieren die Bewohnerinnen und Bewohner des österreichischen Dorfes mit Fassungslosigkeit. Johanna und Doris beschließen, sich das Spiegelbild ihrer Heimat im fernen Asien einmal anzusehen ...

Dominika Meindl, geboren 1978, ist Moderatorin, Journalistin und Literaturveranstalterin, gründete die Lesebühne »Original Linzer Worte« und kuratiert die Reihe »Experiment Literatur« in Wels. Dominika Meindl lebt und arbeitet in Wilhering, Wels und Linz. »Selbe Stadt, anderer Planet« ist ihr erster Roman.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

fallen

Das ekelhafte Geräusch über Eis kratzender Stahlkanten verstummt mit einem Schlag, Johanna spürt jetzt nichts mehr außer ihrer Panik. Adrenalin glüht durch ihre Nervenbahnen, sie versucht zu verstehen, wie ihr geschieht, doch da ist nichts zu machen, alles um sie ist weiß, und sie hat keine Ahnung, wie ihr Körper gerade zur Welt steht. »Bis hierher ging es noch halbwegs gut«, denkt sie, aber es kommt jetzt kein Leben im Schnelldurchlauf, keine Biografie im Zeitraffer. Sie befindet sich im freien Fall mitten in Mitteleuropa, und das hier ist kein Film. Sollte Johanna jemals vergessen haben, dass ihr Geist und ihr Körper eine untrennbare Einheit sind, so weiß sie es nun in dieser letzten Sekunde.

***

Das Handy reißt Johanna aus der Katastrophe. Der Gesundheitsminister hat es sich nicht nehmen lassen, ihr persönlich das Doktorat abzusprechen, da sie damals vor sechzehn Jahren nur Hundertzwanzig-Schilling-Stempelmarken statt der erforderlichen hundertachtzig auf den Studienabschluss geklebt hatte, außerdem habe sie immer noch drei Bücher nicht in die Bibliothek zurückgebracht, »Histo, Patho und noch eins«, sagt der Minister und lässt sie stehen, in einer Ordination voll aufheulender Kranker. Unter deren Schimpf und in Schande wankt sie zur Tür hinaus. Erst da läutet der Wecker. Erschüttert fragt sich Johanna, wann sie denn überhaupt eingeschlafen sein kann, denn die anstehende Unternehmung hatte ihr jede Ruhe geraubt. Der Hund hat nur darauf gewartet, seine in der Nacht unterbrochene Arbeit weiterführen zu können, er leckt ihr mit solcher Hingabe die Zehen, dass Johanna kurz nachdenkt, wann sie zuletzt geduscht hat (gestern). »Aus«, ächzt sie, Balu gehorcht brummend.

An die blickdichte Dunkelheit hier hat sie sich noch nicht wieder gewöhnt, immerhin weiß sie, wo in ihrem alten Kinderzimmer die Lichtschalter sind und wo sie am Vorabend das zusammengewürfelte Gewand für die Tour hingelegt hat. Es passt nicht gut, die Eltern waren wohl anders gebaut, aber eigenes hat sie nicht mehr.

Die alte Kaffeemaschine röchelt wie Darth Vader, der Filterkaffee ist bitter, sie hat schon wieder viel zu viel Pulver genommen, auch das muss Johanna wieder lernen. In der Sekunde, in der ihre Schwester auf die Türklingel drückt, bellt der Hund, als endete die Stromleitung direkt in seinem Halsband. Seine Krallen scheuern über den Holzboden, der Vater hat sie ihm wohl schon lange nicht mehr stutzen lassen. Schnell nimmt Johanna noch einen Schluck Kaffee, damit Doris ihre Fahne nicht riecht. Sie sieht ihren Kopf durch die Glasziegel neben der Tür, ihr eigener spiegelt sich darin, für eine Sekunde legen sich ihre Gesichter genau übereinander.

Da steht ihr Zwilling, schrecklich munter und schrecklich zweckmäßig in die aktuelle neonfarbene, atmungsaktive Skinfit-Kollektion gekleidet. »Haha, das alte Skizeug«, lacht Doris, wie gut die Jethose und das Mäser-Leiberl gehalten hätten, nur noch eine Saison, dann sei das schon wieder in Mode! Johanna schaut an sich herab, es gibt ihr einen Stich, als ihr klar wird, dass sie von Kopf bis Fuß in der Kleidung von Toten steckt. Wenigstens ist die Unterhose ihre eigene, wenn auch etwas ausgeleiert. So, wie die beiden dastehen, wirken sie wie eine Karikatur der vergleichenden Zwillingsforschung, wie Landmaus und Stadtmaus. Und es stimmt ja auch, Doris ist drahtiger, die Sonne hat ihr Falten in die Haut gebrannt, aber ganz vitale, das sind keine Panda-Augen wie ihre eigenen.

Johanna stellt Doris viel zu dick geschnittenes Bauernbrot auf den Tisch und fast noch nicht abgelaufene Butter. »Es gibt auch vintage Marmelade im Haus«, sagt sie, »aber ich mag nicht in den Keller, die Unordnung halte ich in der Früh noch nicht aus.« Doris bietet ihr halbherzig Hilfe beim Entrümpeln an, sie schüttelt den Kopf: Hund, Haus, Patientenkartei - alles ihres jetzt. Weil man auch bei der Trauerarbeit auf eine schöne <