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Moralspektakel

Wie die richtige Haltung zum Statussymbol wurde und warum das die Welt nicht besser macht | Philipp Hübl

E-Book (EPUB)
2024 Siedler
336 Seiten
ISBN: 978-3-641-23228-3

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Kurztext / Annotation
Moral als Show: Wenn es wichtiger ist die richtige Haltung zu zeigen, als sie zu haben - und warum das ein Problem ist
Wir wollen gute Menschen sein, aber das allen anderen auch zeigen. Denn unser moralischer Charakter verschafft uns Anerkennung und Attraktivität. Doch durch den Einfluss der digitalen Medien wird Moral immer mehr zum Statussymbol und die öffentliche Diskussion zu einem Moralspektakel. Mit negativen Folgen, denn die inszenierte Moral führt zu Populismus, Symbolpolitik, verzerrter Forschung und wirkungslosen Maßnahmen gegen Diskriminierung. Statt uns in Schaukämpfen zu profilieren, zeigt uns Philipp Hübl, wie wir einer universellen Ethik folgen können, um reale Missstände zu beseitigen - einer Ethik, in der weder autoritäres Denken noch Opfergruppen im Mittelpunkt stehen, sondern der selbstbestimmte Mensch.

Philipp Hübl ist Philosoph und hat Theoretische Philosophie an der RWTH Aachen, der Humboldt-Universität Berlin und als Juniorprofessor an der Universität Stuttgart gelehrt. Danach war er Gastprofessor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Er ist Autor des Bestsellers »Folge dem weißen Kaninchen« (2012), der Bücher »Der Untergrund des Denkens« (2015), »Bullshit-Resistenz« (2018) und »Die aufgeregte Gesellschaft« (2019) sowie von Beiträgen unter anderem in der Zeit, FAZ, taz, NZZ, Welt, FR, im Standard, Deutschlandradio und Philosophie Magazin. Hübl hat Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford studiert.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1  
Unbemerkter Fortschritt
Das Moralparadox
Der lange Lauf der Geschichte

Die Menschheit existiert seit mindestens 100 000 Jahren, vermutlich sogar deutlich länger.[1] Stellt man sich die letzten 100 000 Jahre als Hundertmeterlauf mit der Gegenwart als Ziellinie vor, dann steht jeder einzelne Meter für 1000 Jahre Geschichte. Läuft man diese Strecke dann vor dem inneren Auge ab, wird einem klar, dass auf den ersten 90 Metern kaum etwas passiert. Der technische Fortschritt ist über lange Strecken minimal, moralischer Fortschritt so gut wie gar nicht vorhanden. Sesshaft werden die Menschen auf den letzten zehn Metern, die Schrift erfinden sie auf den letzten sechs und die ältesten bekannten Gesetzestexte werden auf den letzten vier Metern formuliert.

Erst auf den letzten zehn Zentimetern ändert sich alles. Zum ersten Mal dürfen Frauen wählen - vor 1900 hatte nur ein einziges Land, Australien, das Frauenwahlrecht eingeführt. Die Menschenrechte werden in der heute bekannten Form erst auf den letzten acht Zentimetern formuliert und von den Vereinten Nationen verabschiedet, nämlich im Jahr 1948. Und in Deutschland wird erst auf den letzten 15 Millimetern die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet und die gleichgeschlechtliche Ehe erst auf den letzten fünf Millimetern anerkannt - also nach 99,995 Prozent der gesamten Strecke.

Vor allem nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat die Welt eine unvorstellbare moralische Revolution erlebt, eine Erfolgsgeschichte des Guten, von der Umsetzung der Menschenrechte bis hin zur Verbreitung von Demokratie und Freiheit. Gleichzeitig sind Krieg, Gewalt, Krankheiten, Armut und Hunger dramatisch zurückgegangen, was innerhalb eines Jahrhunderts zu einer Verdopplung der Lebenserwartung weltweit von etwa 35 Jahren auf über 70 Jahre geführt hat.[2] Noch um das Jahr 1900 war die weltweite Kindersterblichkeit so hoch, dass fast jedes zweite Kind das fünfte Lebensjahr nicht erreichte. Heute sterben immer noch vier Prozent aller Kinder, aber das ist weniger als ein Zehntel des ursprünglichen Anteils.[3] Noch 1970 waren etwa 30 Prozent der Menschen in den ärmsten Ländern der Welt unterernährt, heute sind es etwa zehn Prozent.[4]

Dennoch glaubt die Mehrheit der Menschen, die Weltlage habe sich verschlechtert.[5] In sogenannten Entwicklungsländern, wie die Weltbank sie nennt, etwa in China, Senegal, Kenia, Nigeria und Indien, sind die Einschätzungen noch am besten.[6] Dort geben immerhin zwischen 30 und 50 Prozent korrekt an, dass Kindersterblichkeit und extreme Armut weltweit deutlich zurückgegangen sind. Außerdem erwartet in diesen Ländern der größte Anteil der Menschen im globalen Vergleich, dass sich die Weltlage auch in Zukunft verbessert.[7]

In den hochentwickelten Industrieländern liegen die Menschen in ihren Einschätzungen am weitesten von den Fakten entfernt. In Ländern wie Deutschland, Spanien, Frankreich, Italien oder Japan schätzen fast 90 Prozent der Menschen die Weltlage schlechter ein, als sie tatsächlich ist - also gerade in denjenigen Ländern, deren Wohlstand beispiellos in der Menschheitsgeschichte ist.

Und obwohl die Menschenrechte besser geschützt werden als jemals zuvor,[8] sind sich Leute in allen Erdteilen darin einig, dass die Welt moralisch verfällt, wie eine Studie mit 12 Millionen Befragungen in 60 Ländern über die letzten 70 Jahre zeigt.[9] Ganz gleich, in welcher Weltregion man nachfragt, überall geht ein Großteil der Bevölkerung davon aus, dass Menschen heute weniger ehrlich, freundlich und hilfsbereit sind als noch vor wenigen Jahrzehnten. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, wie alle großen Untersuchungen zu diesem Thema belegen.