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Vom Unsinn des Lebens

Was mich mein Weg vom Kindersoldaten zum besten Werber der Welt gelehrt hat | Über Anspruch, Respekt, Konsequenz, Provokationen, Heimat, Vorbilder und vieles mehr | Amir Kassaei

E-Book (EPUB)
2024 Ullstein
Auflage: 1. Auflage
300 Seiten
ISBN: 978-3-8437-3182-9

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Kurztext / Annotation
Amir Kassaei hat als Kindersoldat?im Iran gekämpft und ist allein nach Europa geflohen. Dort fing?er bei null an - und legte eine unvergleichliche Karriere als?Kreativdirektor weltweit führender Werbeagenturen hin. Sein Leben?ist schriller als jeder Werbespot: eine einzige Achterbahnfahrt voller Höhen und Tiefen, voller Rückschläge und Erfolge. In Vom Unsinn des?Lebens erzählt er zum ersten Mal mehr davon. Mit einer starken Haltung und dem festen?Glauben an sich selbst hat Kassaei es vom aussichtslosen Flüchtling?zum international gefeierten und hundertfach prämierten Werber?geschafft. Ungeschönt erzählt er von?seinen Tiefpunkten auf dem Weg an die Spitze der Werbebranche und?den schlimmsten Momenten in seinem Privatleben. Gleichzeitig legt er schonungslos?die Defizite eines profitgetriebenen Wirtschaftssystems sowie die ?Oberflächlichkeit und Bigotterie unserer Gesellschaft offen. Kassaeis?Leben zeigt, dass Erfolg nicht immer eine Frage von Talent oder Herkunft ist, sondern von Willensstärke und Durchhaltevermögen. Eine unglaubliche Lebensgeschichte, die Mut macht. »Ich finde ihn charismatisch. Kämpferisch. Mutig. Fokussiert. Willensstark. Beseelt. Unbeirrbar. Streitbar. Aber notfalls auch sehr charmant.« Jean-Remy von Matt über Amir Kassaei

Amir Kassaei, geboren 1968, gehört mit über 2.000 amtlich registrierten Auszeichnungen zu den drei am häufigsten ausgezeichneten Werbern der Welt. Er war Chief Creative Officer bei DDB Worldwide und damit Chef von 13.000 Werbern, die in 96 Ländern Etats von 3 Milliarden Dollar betreuen. Er war Vorstandssprecher des ADC, Präsident des ADC Europe und Jurymitglied beim Werbefilmfestival in Cannes sowie beim Clio. Er gilt als Enfant terrible, der sich mit Kritik nicht zurückhält. 2020 zog er sich aus der Werbebranche zurück.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Bereuen verboten

Anneliese Wüllner saß mit dem Rücken zur Tür in ihrem Rollstuhl und schwieg. Die kleine Person mit Engelsgesicht, eingerahmt von schneeweißen Haaren, war noch nie allzu redselig gewesen, ihr Schweigen fiel mir daher kaum auf. Doch die Atmosphäre in dem kleinen Zimmer des Altersheims im 19. Wiener Bezirk wog an dem Tag schwerer als sonst, alles wirkte irgendwie dunkler, farbloser. Hätte ich die Tränen nicht ihre Wange herablaufen sehen, wäre ich vielleicht gleich wieder gegangen, nachdem Kaffee und Kekse serviert waren. Doch ich blieb, setzte mich zu ihr, fragte nach und hörte zu. Und kann seitdem nicht mehr vergessen, was sie mir erzählte.

1926 wurde Anneliese mit achtzehn Jahren als Tochter eines Großindustriellen aus Salzburg auf Bildungsreise nach Australien geschickt. Damals war es in wohlhabenden österreichischen Familien üblich, die jungen Töchter in die Welt zu schicken, bevor sie so standesgemäß wie konservativ in den Hafen der Ehe und der Familiengründung geleitet wurden. So auch bei den Wüllners. Nach einem Jahr in Down Under reiste Anneliese wieder in ihre Heimat zurück, lernte in Wien ihren zukünftigen Ehemann kennen, gründete mit ihm eine Familie, bekam vier Kinder und noch mehr Enkel. Sie lebte stets wohlsituiert, bewegte sich in guten Kreisen, fühlte sich akzeptiert und zufrieden. Doch siebzig Jahre nach ihrer Reise, 1996, saß sie nun weinend im Altersheim und sagte zu mir: »Ich habe das falsche Leben gelebt.«

Selbst wenn solche Reisen in den damaligen Zeiten kaum zu vergleichen sind mit den heute bekannten »Sabbaticals« oder »Work & Travel«, in denen alles - privat oder beruflich - erlaubt ist: Anneliese Wüllner war wohlhabend und sicher wohlerzogen, aber ebenso jung und leidenschaftlich. Sie verliebte sich in einen jungen Mann und verbrachte in Australien herrlich erfüllte Momente voller Liebe und Glück. Bis ihr Aufenthalt vorbei war, sie dem Ruf von Familie und Gesellschaft erneut folgte und nach Österreich zurückkehrte. Es war nicht an ihr, diese Entscheidungen zu treffen, geschweige denn, ihr Leben selbst zu bestimmen, sagte mir Frau Wüllner. Siebzig Jahre später merkte sie - wusste sie, dass es nicht das Leben war, das sie tatsächlich wollte. Welches sie durch und durch glücklich gemacht hätte, wirklich ihr Leben gewesen wäre.

Sie sah noch immer die große Liebe in dem Mann, den sie in Australien zurücklassen musste und den sie nach ihrer kurzen gemeinsamen Beziehung nie mehr wiedertraf. Er hätte ihr Leben erfüllen sollen, Teil davon sein müssen. Sie hätte bleiben sollen, irgendwie. All das kam an diesem Tag über sie, eine große und erschreckende, schmerzende Erkenntnis, die außer Leid nicht mehr viel bringen kann: Ich habe mich falsch entschieden, die falschen Prioritäten gesetzt, bin falsch abgebogen. Das erschüttert bis ins Mark - und wenn man denkt, schlimmer geht es nicht, kommt die zweite Einsicht: Nichts ist nunmehr umkehrbar, rückgängig zu machen, nichts lässt die Zeit zurückdrehen.

Diese Erkenntnis der alten Dame kann ich sehr gut nachvollziehen, ihre Geschichte ist traurig und schmerzhaft. Besonders da sie wenige Tage danach starb, nachts, mit niemandem an ihrer Seite - außer mir, dem Zivi. Dennoch war sie gewiss kein Opfer eines Systems, einer Familie, eines Standes oder was auch immer. In meinen Augen war sie vielmehr den einfacheren Weg gegangen. Das sah ich schon damals so, und das tue ich heute noch. Gleichzeitig treibt mich seit jeher folgender Gedanke an: Mir wird das nicht passieren. Niemals. Denn nie in meinem Leben, vor allem aber nicht am Ende, möchte ich so dastehen und alles bereuen.

Und damit willkommen im Unsinn des Lebens. Anders kann man das, was wir Leben nennen, oft nicht bezeichnen. So oft ergibt nichts einen Sinn, so oft sind wir Zuschauer in Aktion und Täter in Ohnmacht - und dann kommt es wieder anders, als man denkt. Alles ist gut, doch gelebt hat man nicht. Alles ist schlimm, doc