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Wir sehen uns im August

Roman | Bisher unveröffentlichte Neuentdeckung aus dem Nachlass des Nobelpreisträgers | Gabriel García Márquez

E-Book (EPUB)
2024 Verlag Kiepenheuer & Witsch Gmbh
Auflage: 1. Auflage
144 Seiten
ISBN: 978-3-462-31267-6

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€ 19,99

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Kurztext / Annotation
Eine Geschichte über die Liebe, wie nur Gabriel García Márquez sie schreiben konnte. Jedes Jahr fährt Ana Magdalena Bach im August mit der Fähre zu einer Karibikinsel, um dort auf das Grab ihrer Mutter einen Gladiolenstrauß zu legen. Jedes Jahr geht sie danach in ein Touristenhotel und isst abends allein an der Bar ein Käse-Schinken-Toast. Dieses Mal jedoch wird sie von einem Mann zu einem Drink eingeladen. Es entspricht weder ihrer Herkunft oder Erziehung noch ihrer Vorstellung von ehelicher Treue, doch geht sie dennoch auf seine Avancen ein und nimmt den Unbekannten mit auf ihr Zimmer. Das Erlebnis hat sie und ihr Leben verändert. Und so fährt sie im August des kommenden Jahres wieder erwartungsvoll auf die Insel, um nicht nur das Grab ihrer Mutter zu besuchen. Wie immer bei Gabriel García Márquez faszinieren die kunstvolle Figurenzeichnung, die bilderreichen und atmosphärisch dichten Beschreibungen sowie die Musikalität der Sprache. »Wir sehen uns im August« ist ein kleines Kunstwerk, das sowohl García-Márquez-Fans als auch neue Leserinnen und Leser begeistern wird.

Gabriel García Márquez, geboren 1927 in Aracataca, Kolumbien, arbeitete nach dem Jurastudium zunächst als Journalist. García Márquez hat ein umfangreiches erzählerisches und journalistisches Werk vorgelegt. Seit der Veröffentlichung von »Hundert Jahre Einsamkeit« gilt er als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Schriftsteller der Welt. 1982 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Gabriel García Márquez starb 2014 in Mexico City.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet


AM 16. AUGUST NACHMITTAGS kam sie mit der Drei-Uhr-Fähre wieder einmal auf die Insel. Sie trug Jeans, eine Bluse im Schottenkaro, einfache, flache Schuhe ohne Strümpfe, einen Sonnenschirm aus Satin, ihre Handtasche und als einziges Gepäck ein Köfferchen. Vor der Schlange der Taxis am Kai steuerte sie direkt auf ein altes, vom Meersalz angefressenes Modell zu. Der Chauffeur begrüßte sie wie ein alter Freund und fuhr sie holpernd durch den ärmlichen Ort mit seinen Häusern aus Rohr und Lehm, den mit Palmwedeln gedeckten Dächern und dem glühenden Sand der Straßen vor einem Meer in Flammen. Der Fahrer musste zickzack fahren, um den unerschrockenen Schweinen und den nackten Kindern, die ihn mit Torero-Finten neckten, auszuweichen. Am Ende des Dorfes bog er in eine Allee aus Königspalmen, an der die Strände und die Touristenhotels zwischen dem offenen Meer und einer von blauen Reihern bevölkerten Lagune lagen. Endlich hielt er vor dem ältesten und schäbigsten Hotel.

Der Concierge wartete mit dem Schlüssel für das einzige auf die Lagune hinausgehende Zimmer des zweiten Stocks und dem ausgefüllten Anmeldebogen, den sie nur noch unterschreiben musste. Sie sprang die Treppe hinauf und betrat das einfache Zimmer, das fast völlig von dem riesigen Ehebett eingenommen war und nach frischem Insektenspray roch. Aus ihrer Tasche zog sie ein Necessaire aus Ziegenleder und legte auf den Nachttisch ein aufzuschneidendes Buch, in dem ein elfenbeinerner Brieföffner eine Seite markierte. Sie holte ein rosaseidenes Nachthemd heraus und schob es unter das Kopfkissen. Dann nahm sie ein mit tropischen Vögeln bedrucktes Seidentuch aus der Tasche, eine weiße kurzärmelige Bluse und ein paar alte Tennisschuhe und brachte alles ins Badezimmer.

Bevor sie sich frisch machte, nahm sie den Ehering ab und die Männeruhr, die sie am rechten Arm trug, und legte beides auf die Ablage über dem Waschbecken, spülte sich dann mit schnellen Bewegungen Wasser ins Gesicht, um den Staub der Fahrt abzuwaschen und die Siestamüdigkeit zu vertreiben. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, griff sie prüfend nach ihren Brüsten, die trotz der beiden Geburten rund und hoheitsvoll waren. Sie zog ihre Wangen mit den Handkanten nach hinten, zur Erinnerung daran, wie sie jung ausgesehen hatte. Über die Falten am Hals ging sie hinweg, da war eh nichts mehr zu machen, und wandte sich ihren makellosen, nach dem Mittagessen auf der Fähre frisch geputzten Zähnen zu. Sie rieb mit dem Deodorant die sauber rasierten Achseln ein und zog sich die Bluse aus kühler Baumwolle mit den auf die Tasche gestickten Initialen AMB an. Sie bürstete ihr bis zur Schulter reichendes indianisch glattes Haar, band es mit dem seidenen Vogeltuch zu einem Pferdeschwanz zusammen. Zum Schluss strich sie sich mit einem einfachen Vaselinstift über die trockenen Lippen, leckte die Zeigefinger an und glättete ihre zusammengewachsenen Brauen, tupfte sich das Duftwasser Orienthölzer hinter das eine und das andere Ohr und stellte sich schließlich ihrem Spiegelbild einer herbstlichen Frau und Mutter. Die Haut ohne jede Spur von Kosmetik hatte die Farbe und die Textur von Melasse, und ihre Topasaugen mit den dunklen portugiesischen Lidern waren wunderschön. Sie prüfte sich gründlich, urteilte ohne Erbarmen und fand sich fast so gut, wie sie sich fühlte. Erst als sie Ring und Uhr wieder anlegte, merkte sie, dass es schon spät war: nur noch sechs Minuten vor vier, trotzdem gönnte sie sich eine Minute der Nostalgie und betrachtete die Reiher, die reglos im Gleitflug über die glühende Hitze der Lagune strichen.

Das Taxi wartete unter den Bananenstauden am Eingang auf sie. Ohne Anweisungen abzuwarten, startete es und fuhr die Palmenallee bis zu einer Lichtung zwischen den Hotels, wo im Freien der lokale Markt stattfand, und hielt vor einem Blumenstand. Eine massige Schwarze, die auf einer Strandliege dämmerte, s