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Genau richtig

Die kurze Geschichte einer langen Nacht | Jostein Gaarder

E-Book (EPUB)
2019 Carl Hanser Verlag München
Auflage: 1. Auflage
128 Seiten
ISBN: 978-3-446-26487-8

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Kurztext / Annotation
Was ist das Wichtigste im Leben? Und was genau richtig?
Albert hat eine schlimme Diagnose von seiner Ärztin und ehemaligen Geliebten erhalten. Während seine Frau Eirin auf einem Kongress ist, fährt er allein in die einsame Ferienhütte an einem Waldsee: Soll er sein Leben selbst beenden, bevor es die tödliche Krankheit tut? Um mit sich selbst ins Reine zu kommen, schreibt er in das Hüttenbuch. Er erzählt, wie er Eirin kennenlernte und wie sie als junge Verliebte in das Märchenhaus einbrachen, das sie später gekauft haben. Wie seine Ehe zu kriseln begann, welche Rolle Sohn und Enkelin für ihn spielen und von seiner Begeisterung für die Astrophysik. Es wird eine lange Nacht, bis irgendwann ein Boot ruderlos auf dem See treibt und ein Fremder erscheint.

Jostein Gaarder, 1952 in Norwegen geboren, studierte Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaften. Er war lange Philosophielehrer und lebt heute als freier Schriftsteller in Oslo. Sein Roman Sofies Welt (1993) wurde in über 50 Sprachen übersetzt. Zuletzt erschienen von ihm Ein treuer Freund (Roman, 2017) und Genau richtig (2019). 2023 folgt Ist es nicht ein Wunder, dass es uns gibt? Eine Lebensphilosophie.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Liebe Alle,

vorhin war ich bei Marianne, und mir ist klar, dass von nun an alles verändert ist. Ich bin aufgewühlt, und das, was jetzt bevorsteht, wird, auf die eine oder andere Weise, in uns allen Spuren hinterlassen. Zu einem wie auch immer gearteten Normalzustand führt kein Weg zurück. Es tut weh, daran zu denken.

Ich bin noch nicht lange hier, war nur kurz unten am See und habe das Boot zu Wasser gelassen, das muss ich immer tun, damit alles gewissermaßen in Ordnung ist und für die Saison in Gebrauch genommen werden kann.

Um den See herum gibt es hier und da Schneewehen, gewichtige Zeuginnen einer langen winterlichen Belagerung. Die Lufttemperatur liegt am Gefrierpunkt, aber es ist kein Eis mehr auf dem Wasser, nicht einmal ganz hinten in Glitrevik.

Ich schließe die Tür auf und stelle eine Einkaufstüte ab, ehe ich die Läden aufreiße und in den Öfen einheize. Durch das Fenster nach Westen kann ich sehen, dass die Sonne in ungefähr einer Stunde über dem See untergehen wird.

Ich muss das meiste mit einer Hand machen, jedenfalls alles, wozu Feinmotorik vonnöten ist; das ist schon seit einigen Monaten so. Erst seit heute weiß ich, weshalb.

Ich friere an den Füßen. Ich habe nicht mehr zu Hause vorbeigeschaut, um Stiefel und warme Kleidung mitzunehmen, konnte die Vorstellung nicht ertragen, nach Hause zu kommen, da war niemand, zu dem ich hätte nach Hause kommen können. Aber ich war im Laden um die Ecke und habe die allernötigsten Lebensmittel erstanden. Ich habe für einen Tag eingekauft.

Hier oben fehlt es ja nicht an Stiefeln und dicken Pullovern, und ein Paar solide Wollsocken habe ich auch gefunden. In beiden Öfen brennt jetzt ein Feuer, und da wird es nicht lange dauern, bis es hier schön warm ist. Das ist der Vorteil einer kleinen Hütte. Genügsamkeit kann sich lohnen.

Nach meinem Besuch bei Marianne hatte ich sofort das Gefühl, dass ich allein sein, dass ich mich vollkommen isolieren müsste.

Ich denke nicht klar, in mir brodelt es, ich bin entsetzt, bestürzt, aber das hier ist etwas, dem ich mich stellen, zu dem ich eine Haltung einnehmen muss; also muss ich schreiben, nur so kann ich jetzt geradlinig denken. Ich muss dafür sorgen, dass meine Gedanken klar strukturiert sind, ehe sie den Weg aufs Papier finden. Ich glaube, ich ahne in dem ganzen Chaos einen roten Faden, weiß aber nicht, wohin der mich führen wird.

Und mir geht auf, dass ich nicht nur für mich selbst schreibe, und vielleicht auch nicht nur für meine Nächsten. Vielleicht mache ich mir meine Gedanken stellvertretend für die gesamte Menschheit.

Denn was ist ein Mensch? Diese Frage kann naiv wirken. Aber mir geht auf, dass ich mir das noch niemals systematisch überlegt habe.

Nichts an meiner Situation ist einzigartig, im Gegenteil. Ich bin nur einer von uns, und in dieser Rolle werde ich heute Abend und heute Nacht hier sitzen und schreiben. Ich habe mir eine Frist von vierundzwanzig Stunden gesetzt.

Wir sind so unermesslich, so unerschöpflich reich an Lebenseindrücken, an Erkenntnissen, Erinnerungen und gegenseitigen Bindungen. Und wenn wir gehen müssen, löst sich alles auf und verschwindet, wird vergessen.

Die Welt hat Wunden, sie blutet. Und jetzt bin ich an der Reihe. Einmal musste dieser Tag ja kommen. Er kam wie eine Ohrfeige. Oder wie ein brutaler Nasenstüber.

Aber ich will in einer ruhigeren Ecke anfangen. Ehe ich mich dem letzten Akt des Dramas nähere, muss ich einen Teil des süßen Vorspiels schildern.

*

Ich denke an das allererste Mal, als Eirin und ich hier oben waren, es war im September 1972, und die Geschichte, die ich jetzt erzählen werde, habt ihr anderen noch nie gehört. Christian, June und Sarah, macht euch darauf gefasst, dass ich ein gutgehütetes Geheimnis lüften werde.

Der Grund, warum wir euch in all den Jahren verschwiegen haben, wie alles angefangen hat, ist irgendwie nicht zu greifen, ab