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Blinde Liebe

Die Verzückung des Brodie Moncur | William Boyd

E-Book (EPUB)
2019 Kampa Verlag
Auflage: 1. Auflage
512 Seiten
ISBN: 978-3-311-70039-5

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Kurztext / Annotation
Brodie Moncur hat das absolute Gehör und gilt als Genie unter den Klavierstimmern. Als er in Paris dem grandiosen Pianisten John Kilbarron begegnet, nimmt sein Leben eine dramatische Wendung. Rasch zeigt sich, dass Brodies Künste unverzichtbar für Kilbarron sind. Gemeinsam feiern sie Triumphe in ganz Europa, führen in St. Petersburg ein luxuriöses Leben, das Brodie, aufgewachsen in einem schottischen Dorf als Sohn eines tyrannischen Pfarrers, sich nie hätte erträumen lassen. Und doch ist das alles für Brodie unwichtig. Denn der wahre Grund, weshalb er in die Dienste des genialen, aber unberechenbaren Pianisten eingetreten ist, ist dessen Geliebte, die russische Sopranistin Lika. Brodie weiß, dass diese Liebe unmöglich ist, und setzt doch alles für sie aufs Spiel - auch sein eigenes Leben. Denn der Klavierstimmer, der mit wenigen Handgriffen über Erfolg oder Misserfolg eines Konzerts, ja einer Pianistenkarriere entscheiden kann, folgt seinem Herzen, das sich nicht umstimmen lässt.

WILLIAM BOYD, 1952 in Ghana als Sohn schottischer Eltern geboren, gilt als einer der bedeutendsten Erzähler der zeitgenössischen Literatur. Für seine Werke erhielt er zahlreiche Preise. Romane wie Brazzaville Beach, Ruhelos und Die Fotografin wurden zu internationalen Bestsellern. Zuletzt erschien in der Reihe Der kleine Gatsby im Kampa Verlag die Erzählung All die Wege, die wir nicht gegangen sind. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und Südfrankreich.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Teil I Edinburgh 1894
1

Brodie Moncur stand im Hauptfenster von Channon & Co. und blickte auf die dahineilenden Passanten, die Droschken, Kutschen und die sich abplagenden Brauereipferde draußen auf der George Street. Es regnete. Ein stetiger, sachter Regen, der hin und wieder von einer heftigen Windbö schräg gepeitscht wurde, und durch die Nässe wirkten die verrußten Fassaden der Gebäude gegenüber in dem trüben Licht fast schwarz. Wie Samt, dachte Brodie, oder Maulwurfsfell. Er nahm seine Brille ab und wischte die Gläser mit seinem Taschentuch sauber. Bei einem weiteren, brillenlosen Blick aus dem Fenster schien ihm das verregnete Edinburgh nun gänzlich von Wasser durchdrungen zu sein - die Gebäude gegenüber eine Klippe aus schwarzem Wildleder.

Er setzte die Brille wieder auf, hakte sich die Drahtbügel hinter die Ohren, und die Welt kehrte in den Normalzustand zurück. Er nahm seine Taschenuhr aus der Weste. Fast neun Uhr: Zeit anzufangen. Er klappte den glänzenden neuen Flügel auf dem Schaupodest auf und fixierte den geschwungenen Deckel, der an der Unterseite mit einem Spiegel versehen war (nur zu Schauzwecken - seine Idee), mit dem Stützhalter, um die komplizierte Maschinerie - die Mechanik - des Channon-Flügels besser zur Geltung zu bringen. Dann entfernte er den Tastendeckel und schraubte die Mechanikbacken auf. Er überzeugte sich, dass kein Hammer hochstand und zog dann die gesamte Mechanik auf der Vignolschiene unter der Vorderseite nach vorn. Da das Instrument neu war, ließ sie sich mühelos bewegen. Draußen war bereits ein Passant stehen geblieben und spähte ins Fenster. Das Herausziehen der Mechanik erregte immer Aufsehen. Einen aufgeklappten Flügel hatte jeder schon einmal gesehen, doch durch die Präsentation der Mechanik änderte sich aus irgendeinem Grund die Wahrnehmung. Das Instrument schien nicht länger vertraut. Jetzt waren alle beweglichen Teile jenseits der schwarzen und weißen Tasten zu sehen: die Hämmer, die Wippen, die Stoßzungen, die Hebeglieder, die Dämpfer; das Innenleben war preisgegeben wie bei einer Uhr mit geöffnetem Gehäuse oder einer Lokomotive in einer Reparaturwerkstatt. Geheimnisse - Musik, Takt, Bewegung - wurden auf komplizierte, ausgeklügelte Mechanismen reduziert. Die Menschen waren allenthalben fasziniert davon.

Er öffnete seine Werkzeugrolle aus Leder, nahm den Stimmschlüssel heraus und tat so, als würde er den Flügel stimmen: zog ein paar Saiten hier und da an, prüfte sie und stellte sie neu ein. Alles war tadellos. Dafür hatte er selbst gesorgt, als das Instrument zwei Wochen zuvor nagelneu aus der Fabrik gekommen war. Er stimmte das eingestrichene F eine Spur schärfer als normal und berichtigte es danach wieder, wobei er einige Male kräftig die Taste anschlug. Er hob einen Hammerkopf an und stach vorsichtig mit der dreispitzigen Intoniernadel in den Filz, ehe er den Hammer wieder an seinen Platz zurücksinken ließ. Dieses pantomimische Klavierstimmen sollte Kunden anlocken. Bei einer der seltenen Belegschaftsversammlungen hatte er angeregt, einen versierten Pianisten zu engagieren und im Laden Klavier spielen zu lassen, wie es in den Ausstellungsräumen in Deutschland üblich war; so wie es die Hersteller Pleyel und Érard in den 1830ern in Paris eingeführt und damit große Menschenmengen angelockt hatten. Schwerlich eine bahnbrechende Neuerung also, aber ein spontanes Konzert in einem Schaufenster wäre sicherlich attraktiver als die manierierten Tonwiederholungen auf einem Klavier, das gerade gestimmt wurde. Donk! Ding! Donk! Donk! Donk! Ding! Er hatte sich jedoch nicht durchsetzen können - ein versierter Pianist würde Geld kosten -, und stattdessen wurde ihm die Aufgabe des Schau-Stimmens übertragen: morgens eine Stunde und eine weitere nach dem Mittagessen. Tatsächlich lockte er damit Zuschauer an, wo