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Ein letzter Sommer in Méjean

Kriminalroman | Cay Rademacher

E-Book (EPUB)
2019 Dumont Buchverlag
Auflage: 1. Auflage
464 Seiten
ISBN: 978-3-8321-8443-8

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Kurztext / Annotation
Das Böse unter der provenzalischen Sonne Méjean, ein Fischerdorf an der Côte Bleue, in dem die Bewohner und Gäste die ersten heißen Tage genießen. Bis fünf Fremde aus Deutschland anreisen. Mit ihnen kehren die düsteren Erinnerungen an ein seit dreißig Jahren ungelöstes Verbrechen zurück - und damit Misstrauen, Angst und Hass. Sommer 1984: Claudia und Dorothea, Oliver, Barbara, Rüdiger und Michael haben gerade Abitur gemacht. Die Clique verbringt einen letzten gemeinsamen Urlaub im Ferienhaus von Michaels Eltern und verlebt eine großartige Zeit. Bis eines Nachts Michael in eine Bucht geht und nicht wieder auftaucht. Am nächsten Tag wird klar: Es handelt sich um Mord. Doch die Polizei findet keinen Schuldigen, weder unter den Deutschen noch unter den Einheimischen. Nun, im Sommer 2014, kehren die fünf überlebenden Freunde von einst nach Méjean zurück. Sie haben sich längst aus den Augen verloren. Manche haben Karriere gemacht, andere sind gescheitert. Doch sie alle haben einen Brief erhalten, der sie an diesen Ort zurückzwingt. Auch Commissaire Renard aus Marseille reist an, weil er ein Schreiben erhalten hat. Denn in diesem Sommer in Méjean, so verspricht der anonyme Absender, werden sie endlich Michaels Mörder finden ...

CAY RADEMACHER, geboren 1965, schreibt in mehrere Sprachen übersetzte Kriminalromane, etwa die >Trümmermörder<-Trilogie aus dem Hamburg der Nachkriegszeit oder die Provence-Serie um Capitaine Roger Blanc. Außerdem erschienen >Ein letzter Sommer in Méjean< (2019), >Stille Nacht in der Provence< (2020) und >Die Passage nach Maskat< (2022) sowie das historische Sachbuch >Drei Tage im September< (2023). Cay Rademacher lebt mit seiner Familie bei Salon-de-Provence.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Freitag, 27. Juni 2014. Claudia Bornheim blickt in acht verschlossene Gesichter, und sie fragt sich einen Augenblick lang, ob sie in ihrem Leben nicht etwas fundamental falsch gemacht hat. Sie ist 48 Jahre alt und seit sechs Jahren Ministerin. Andere schnupfen Kokain, sie ist süchtig nach Politik - war jüngste Landtagsabgeordnete, jüngste Staatssekretärin, jüngste Landesministerin. Dafür hat sie beinahe auf alles verzichtet; keine Familie, keine Kinder und, wenn sie ehrlich ist, nicht einmal Freunde außerhalb der kleinen Welt zwischen Düsseldorf und Berlin. Und wofür? Sie verkündet ihr neuestes Gesetzesvorhaben im Raum der Landespressekonferenz, und da verlieren sich acht Korrespondenten im Saal, von denen vier aussehen wie Praktikanten, deren größte intellektuelle Leistung darin besteht, diesen Raum rechtzeitig gefunden zu haben. Und von den anderen vier haben zwei es nicht einmal für notwendig gehalten, sich Notizen zu machen. Es ist Freitagmorgen, noch nicht einmal zehn Uhr, und Claudia Bornheim ist schon erschöpft, sie spürt ein Ziehen in den Schläfen, das verfluchte Alarmsignal der Migräne, und wünscht, sie dürfte sich wenigstens ein bisschen gehen lassen.

Stattdessen zwingt sie sich das von den Fotografen geliebte Claudia-Bornheim-Lächeln ins Gesicht, als sie aufsteht. Sie ist sportlich, Joggen und Schwimmen, in ihren langen dunkelbraunen Haaren schimmert noch keine graue Strähne, sie sieht mindestens zehn Jahre jünger aus, als sie ist, und zwanzig Jahre jünger, als sie sich fühlt.

»Sie werden den Text des Gesetzesentwurfs ab zehn Uhr auf der Website des Ministeriums finden«, verkündet sie. »Und wenn sie noch Fragen haben ...«

Wowlick von der Rundschau ist schon an der Tür, sicher auf dem Weg zur Raucherecke. Die anderen Journalisten klappen Notebooks zusammen oder checken ihre Smartphones.

»Denk an deine Post, Claudia.« Jasmin da Silva, die freundlich lächelnd und loyal die ganze Pressekonferenz neben ihr gesessen hat, springt auf. Sie ist ein Junkie wie Claudia Bornheim, nur eine Generation jünger. Jasmin könnte als Navajofrau durchgehen oder als Algerierin oder Inderin. Mit ihrer ungewöhnlichen Schönheit, die im Fernsehen noch deutlicher zutage tritt als im echten Leben, würde sie es weit bringen - vorausgesetzt, Jasmin würde die Flut der Hassmails und Drohungen ertragen, die unweigerlich über sie hereinbräche, wie immer, wenn sich eine Frau ihres südländischen Aussehens für ein öffentliches Amt zur Wahl stellt.

Claudia Bornheim blickt auf ihre Uhr, Rolex, Stahl, eine Männeruhr und das letzte Überbleibsel einer schon vor Jahren gescheiterten Beziehung. »Gleich ist Fraktionssitzung«, erwidert sie.

»Es ist nicht viel. Wer schickt heute schon noch Briefe? Du kannst sie auf dem Weg lesen. Ich halte dir die Türen auf.« Jasmin da Silva lacht.

Claudia Bornheim ringt sich ein Lächeln ab. Selbstironie steht einer Ministerin gut. Vor sechs Monaten hat sie eilig auf einem Flur Akten studiert und ist gegen eine Glasschiebetür geknallt, die sie übersehen hatte. Sehr schmerzhaft. Und wahrscheinlich sehr witzig für Jasmin und die beiden Referatsleiter, die ihr gefolgt waren. Zum Glück hatte das niemand mit dem Handy gefilmt, eine Slapstickeinlage wie diese hätte ihr eine halbe Millionen Zuschauer auf YouTube eingebracht - und man konnte nie wissen, wie sich das auf die Karriere auswirkt.

»Zeig her«, sagt sie.

Sie laufen durch einen langen Gang, der zu den Fraktionsbüros führt. Wer ihnen entgegenkommt, macht respektvoll Platz und grüßt. Claudia Bornheim lächelt jeden an und grüßt zurück. Jasmin da Silva zieht so kalt wie ein arktischer Luftstrom vorbei. Das muss sie noch lernen, denkt Claudia Bornheim, Arroganz ist eine gefährliche Schwäche, weil sie lange nachwirkt. Sie macht sich im Geist einen Vermerk: Wenn Jasmin sich bewährt, wird sie irgendwann ihre öffentlichen Auftritte coachen.