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Enteignung

Roman | Reinhard Kaiser-Mühlecker

E-Book (EPUB)
2019 S. Fischer Verlag Gmbh
Auflage: 1. Auflage
224 Seiten
ISBN: 978-3-10-490964-6

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Kurztext / Annotation
Nach seinem erfolgreichen Roman ?Fremde Seele, dunkler Wald?, der auf der Shortlist des deutschen Buchpreises stand, schreibt Reinhard Kaiser-Mühlecker über die Umbrüche unserer Gegenwart. Nach Jahren auf Reisen kehrt ein Journalist in den Ort seiner Kindheit zurück, an dem er nie heimisch war. Er schreibt für das kriselnde Lokalblatt, er beginnt eine Affäre und arbeitet auf dem Hof eines Mastbauern, dessen Land enteignet wurde. Rätselhaft und faszinierend sind sie, Ines, Hemma, Flor, und sie ziehen ihn hinein in die Kämpfe um ihr Leben, das ihnen weggenommen wird. Ein existentieller und aufwühlender Roman darüber, wie diese Welt im Umbruch unsere Gefühle und Beziehungen verändert. Reinhard Kaiser-Mühlecker erzählt von einer Zeit tiefer Verunsicherung - er erzählt von unserer Gegenwart.

Reinhard Kaiser-Mühlecker wurde 1982 in Kirchdorf an der Krems geboren und wuchs in Eberstalzell, Oberösterreich, auf. Er studierte in Wien und betreibt eine Landwirtschaft. »Ich sehe es als eine Art Verpflichtung an, die Welt, die ich kenne, erfahrbar zu machen - einem, der sie nicht kennt.« Sein Debütroman »Der lange Gang über die Stationen« erschien 2008, anschließend die Romane »Magdalenaberg«, »Wiedersehen in Fiumicino«, »Roter Flieder«, »Schwarzer Flieder« sowie »Zeichnungen. Drei Erzählungen«. Der Roman »Fremde Seele, dunkler Wald« stand 2016 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. 2019 erschien der Roman »Enteignung«. Für sein Werk wurde Reinhard Kaiser-Mühlecker mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Im Frühjahr 2022 erschien Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman »Wilderer«, der für den Deutschen Buchpreis und den Österreichischen Buchpreis nominiert war und mit dem Bayerischen Buchpreis 2022 ausgezeichnet wurde. Literaturpreise: Bayerischer Buchpreis für »Wilderer« 2022Longlist Deutscher Buchpreis für »Wilderer« 2022Longlist Österreischischer Buchpreis für »Wilderer« 2022Preis des Wirtschaftsclubs Stuttgart für »Wilderer« 2022Nominierung Prix du Meilleur livre étranger 2021 für »Roter Flieder«Longlist Prix Médicis étranger 2021 für »Roter Flieder« Literaturpreis der Österreichischen Industrie - Anton Wildgans 2020Comburg-Stipendium 2015Adalbert-Stifter-Stipendium 2014Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2014outstanding artist award 2013Kunstpreis Berlin für Literatur 2013Buch.Preis 2009Stipendium des Literarischen Colloqiums Berlin 2009 Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf 2009Österreichisches Staatsstipendium für Literatur 2008Hermann-Lenz-Stipendium 2008 Stipendium des Herrenhauses Edenkoben 2007Literaturförderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung 2007Werkstattstipendium der Jürgen-Ponto-Stiftung 2006

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

2

Die Hitze ließ endlich nach, und hin und wieder, meistens nachts, regnete es ein paar Stunden lang, so dass ich den Garten und das Grab meiner Tante nicht mehr gießen musste und die Zisterne, seit langem leer, sich allmählich wieder füllte. Das Land verlor das staubige Gelb und wurde etwas grüner.

Obwohl ich das nicht erwartet hatte, gefiel es mir, mit Ines zusammen zu sein. In unregelmäßigen Abständen trafen wir uns. Ihre Kinder waren nie da, alles war unkompliziert; weder wollte sie etwas von mir wissen noch von sich erzählen. Das einzige Gespräch drehte sich darum, was ich trinken wollte. Ansonsten redeten wir so gut wie nichts, und ihr zufriedenes Seufzen, wenn sie sich hinterher auf den Rücken rollte und ein Bein anzog und zur Decke starrte, war bloß für sich selbst. Immer noch reizte es mich, zu denken, wie zufällig unser Beisammensein war, weil weder sie noch ich es gesucht hatten, zumindest ich war dieser Ansicht, und wie rasch das alles wieder vorbei sein könnte, ohne dass ich es zu verhindern imstande wäre. Stimmte es jedoch, dass sie es gar nicht gesucht hatte? Es dauerte keine vier Wochen, bis ich herausfand, nicht der Einzige zu sein; wer der andere oder sogar die anderen waren, spielte dabei keine Rolle, und ich wollte es auch nicht wissen. Doch als ich im Spätherbst erfuhr, dass sie sich auch mit Flor traf, und zwar bereits seit längerem, geschah etwas, das mich überraschte, weil es mir in dieser Form noch nie passiert war: Ich war gekränkt. Zwar nahm ich an, meine ungewöhnliche Empfindung werde sich bald wieder legen, aber ich irrte mich. Ist das ihr Ernst? Mit dem treibt sie's?, fragte ich mich immer öfter, bis ich feststellte, dass ich keine Freude mehr an Ines hatte, und ich ließ mich zwei Wochen nicht mehr bei ihr blicken.

Schließlich aber war ich doch wieder bei ihr gewesen, hatte ihr eine Nachricht geschickt: »Kann ich kommen?«, die sie eine Stunde später beantwortet hatte: »Ja. Um 9.« Ich konnte es nicht lassen - und glaubte: noch nicht. Ich wusste, dass ich mich wie ein Verliebter benahm, wusste jedoch zugleich, dass ich keiner war. Zwar fragte ich mich, was sie an ihm finden mochte, doch war mir da schon klar, dass es nicht das war, was mich beschäftigte; nein, mein Verhalten hatte vor allem mit Flor zu tun. Er störte mich in einer Weise, die ich nicht verstand. Einmal deutete ich an, dass es mir nicht gefalle, dass sie ihn treffe, und sofort reagierte sie gereizt: »Wie bitte? Was genau meinst du?« Aber sie musste aufhören, ihn zu sehen, das wurde mir vollkommen klar; nein, es störte mich nicht bloß, es war viel mehr: Ich ertrug es schlicht nicht. Weshalb? Was war mit mir geschehen, dass ich plötzlich so empfand? Darauf gab es keine Antwort, es war so. Und ich, der nie ein Grübler gewesen war, dachte auf einmal nur noch darüber nach, wie ich erreichen konnte, was ich wollte, und stellte mit einem Anflug von Unbehagen fest, dass mein Grübeln rein gar nichts Spielerisches an sich hatte.

 

Die starken Regenfälle Anfang Dezember hatten sehr viel Erdreich abgetragen und fortgeschwemmt. Die Straßen im Landkreis waren mit einem hellbraunen, ins Rötliche stechenden Film überzogen. Um den 10. herum setzte der Frost ein. Weil jedes Ding und jede Pflanze sich bis zum Äußersten mit Wasser vollgesogen hatte, schien mit dem Frost alles nicht bloß starr, sondern auch eigenartig schwer zu werden und wie für die Ewigkeit gebunden an die Erde. Nicht einmal die Steinchen der Schotterstraße - der Zufahrt zu Flors Hof - flogen beim Drüberfahren auf und schlugen gegen die Bodenplatte; bloß hartes, unnachgiebiges Knirschen, das schon im Moment des Entstehens wieder erstarb. Die den Weg säumenden Bäume waren nun vollständig kahl, wie farblose und vergessene Lampions hingen die Misteln in ihnen. Die Winterfurche hier gezogen, das Getreide dort aufgelaufen - steif wie Stachel