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Die Träume anderer LeuteOverlay E-Book Reader

Die Träume anderer Leute

Judith Holofernes

E-Book (EPUB)
2022 Verlag Kiepenheuer & Witsch Gmbh
Auflage: 1. Auflage
416 Seiten
ISBN: 978-3-462-31066-5

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Kurztext / Annotation
Album, Promotion, Tour. Beinahe zwanzig Jahre lang bestimmt die Dynamik des Musikbetriebs Judith Holofernes' Leben. In dieser Zeit wird sie, mit Wir sind Helden und ihrem Soloprojekt, zu einer der bekanntesten und prägendsten Sängerinnen ihrer Generation. In ihrem autobiografischen Buch blickt sie jetzt zurück auf die Zeit nach den Helden, auf Krisen, Träume und eine wegweisende Entscheidung - und zeigt sich dabei als feinsinnige Erzählerin. Mit großer Klarheit und Zartheit und dem ihr eigenen Witz schreibt Holofernes über Fluch und Segen des frühen Erfolgs der Helden; über die Vereinbarkeit von Familie und Frontfrausein; über die öffentliche Wahrnehmung des eigenen Körpers, das Aufwachsen mit ihrer lesbischen Mutter in Freiburg; über die tiefen Einschnitte in ihrem Leben, die Zweifel, den Schmerz. Immer wieder geht es auch um die Musikbranche, um das Verhältnis zu ihren Fans, eigenartige Konzerte im Hellen, aber auch um die starren Mechanismen des Betriebs und den Sexismus. Eindrücklich zeigt Judith Holofernes in »Die Träume anderer Leute«, wie sie sich nach und nach aus den kommerziellen Zwängen und der Enge des Musikbetriebs befreit hat. Wie sie zu der Künstlerin wurde, die sie so lange sein wollte - und damit ihr Leben zurückbekam.

Judith Holofernes, ehemals Frontfrau und Texterin der Band Wir sind Helden, hat seit dem Helden-Aus zwei Soloalben (»Ein leichtes Schwert« und »Ich bin das Chaos«) und ein Buch mit Tiergedichten veröffentlicht (»Du bellst vor dem falschen Baum«). Seit ihrem Rücktritt vom Musikbusiness 2019 ist sie crowd-basierte Künstlerin, unterstützt durch monatliche Abos ihrer Community auf der Plattform Patreon. In ihrem Podcast Salon Holofernes spricht sie außerdem regelmäßig mit anderen Künstler*innen über ihre kreative Arbeit.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Ton, Steine, Hipp-Gläschen-Scherben

Dieses Wegschieben von Polas Hand sollte in den folgenden Monaten eine vertraute Geste werden, ein stummes Ritual. So wie bei Robert Lembke damals bei Was bin ich? »Können Sie uns eine für Ihren Beruf typische Geste vorführen?« Und die Quizshow-Teilnehmer hätten gerufen: »Aber ja, das ist eine Musikerin, die versucht, mit zwei Kleinkindern auf Tour zu gehen!« Und Hans und Anneliese hätten sich zugelächelt und ergänzt: »Die Geste ist das typische Wegschieben der Hand des besorgten Ehemannes, damit man nicht in seine Einzelteile zerfällt. Herzlichen Glückwunsch. Welches Schweinderl hätten S' denn gern?«

Sosehr wir auch versucht hatten, unseren Beruf familienkompatibel umzugestalten, es schien ein unmögliches Unterfangen. Wir spielten deutlich weniger Konzerte, ich gab nur noch etwa halb so viele Interviews und schickte immer öfter den Rest der Band vor. Trotzdem waren Pola und ich, die wir die Kinder nicht zu Hause lassen konnten, immer noch ungefähr achtzig Tage im Jahr unterwegs. Das hat man davon, wenn man seinen Drummer heiratet. Wir spielten Show um Show, Festival um Festival, die Kinder immer im Schlepptau. Und ich hatte es mir so ausgesucht. Ich war es gewesen, die von diesem Tourleben mit Familie geträumt, die jeden Vorschlag, ein paar Jahre zu pausieren, vom Tisch gefegt hatte.

An manchen Tagen ging mein Plan sogar auf. Dann fühlte sich unser seltsames Familienkonstrukt zwar immer noch halsbrecherisch an, aber auch abenteuerlich, innig und besonders. Vielleicht in seiner Besonderheit sogar näher dran an mir, an meiner eigenen Kindheit, vertrauter als das häusliche Familienleben, das zu Hause gewartet hätte.

Einige Jahre zuvor, um die Veröffentlichung des Heldenalbums »Von hier an blind« herum, war ich bei einem Inlandsflug an Polas Schulter in bittere Tränen ausgebrochen, weil die manische Mathematik in meinem Kopf, das Auszählen und Abgleichen von Monaten, Touren, Hormon- und Veröffentlichungszyklen, nicht aufgehen wollte. Sooft ich es auch hin und her drehte, ich sah keinen Weg, Kinder zu haben und dieses Rockstarleben am Laufen zu halten. Es schien unvereinbar, unversöhnlich, und ich hatte das Gefühl, mir daran das Herz auszurenken.

Ich wollte Rockstar werden, seit ich zwölf Jahre alt war und meine Mutter mir die ersten Gitarrenakkorde beigebracht hatte, auf dem Klodeckel in unserem kleinen Badezimmer sitzend, wegen der hübschen Akustik. Vom Kinderhaben aber hatte ich geträumt, seit mein Vater mir, im Alter von sechs Jahren, meinen neugeborenen Halbbruder in den Arm gelegt hatte.

Wenn du das willst, dann machen wir das und gucken einfach, wie es funktioniert, sagte Pola, als wir zur Landung ansetzten. Es wird funktionieren, verstand ich. Ich werde funktionieren.

Jetzt, zwei Alben und zwei Kinder später, war ich entschlossener denn je. In dieser Entschlossenheit glorifizierte und romantisierte ich alles, was aufregend und schön war an diesem unserem Himmelfahrtskommando. Das Unterwegssein mit der großen, liebevollen Affenfamilie, die schiere Unmöglichkeit des Unterfangens, die vielen bunten Erwachsenen. Es gefiel mir, auf Festivalgeländen mit Baby im Arm aus dem Bus zu steigen, mir gefielen die Blicke, der Unglaube. Ich liebte es, meinen winzigen Sohn auf dem Arm unseres zwei Meter großen Merchandisers Hightower zu sehen, oder wenn unser Manager Danny mein Töchterchen auf den Schultern herumtrug. Später, als auch Jean Vater wurde, liebte ich die Ad-hoc-Krabbelgruppe auf dem Autoteppich im Cateringbereich, wenn Kornelia uns mit Konrad auf Tour besuchte. Ich liebte es, beim Soundcheck ein Kind auf dem einen Arm zu balancieren und mit dem anderen den Mikrofonständer einzustellen. Vor allem aber liebte ich es, in dieser Welt, die mir immer harscher und falscher vorgekommen war, etwas Weiches dabeizuhaben, in und auf meinem Herzen. Etwas, das ich ungebrochen lieben konnte, etwa