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Kindeswohl und KindeswilleOverlay E-Book Reader

Kindeswohl und Kindeswille

Psychologische und rechtliche Aspekte | Harry Dettenborn

E-Book (EPUB)
2021 Ernst Reinhardt Verlag
Auflage: 6. Aufl.
169 Seiten
ISBN: 978-3-497-61502-5

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Kurztext / Annotation
In diesem Buch wird gezeigt, wie die Kriterien Kindeswohl und Kindeswille kontrolliert und sensibel genutzt werden können. Der Praktiker erhält außerdem konkrete Anleitungen zur Diagnostik und zum Umgang mit dem Kindeswillen. Beschrieben werden Altersbesonderheiten sowie die Spezifik des selbstgefährdenden und des induzierten Kindeswillens. Anhand der Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil wird gezeigt, wie schwierig eine differenzierte Beurteilung des Kindeswillens ist.

Prof. Dr. Harry Dettenborn, Diplom-Psychologe; Universitäts-Prof. i. R; Mitgründer und Vorstandsmitglied des Instituts Gericht & Familie Berlin-Brandenburg; langjährige Sachverständigentätigkeit auf dem Gebiet der Rechtspsychologie

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

3 Das Wohl des Kindes

3.1 Die Problematik des Begriffs

Im Begriff "Kindeswohl" ist eines der zentralen Regelungsanliegen des Familienrechts und des Kinder- und Jugendhilferechts verankert, nämlich das des Schutzes von Kindern und Jugendlichen. Reformen und Gesetzesänderungen der letzten Jahrzehnte im Kindschaftsrecht, im Eherecht, in den Sorgerechtsregelungen nutzen diese "Instanz", wenn es darum geht, widerstreitende Interessen abzuwägen.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien folgende Beispiele genannt: Im BGB wird das Kindeswohl als Bezugspunkt genannt in 1697a BGB (Kindeswohlprinzip), in den 1666 Abs. 1 (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls), 1632 Abs. 4 (Herausgabe des Kindes; Bestimmung des Umgangs; Verbleibensanordnung bei Familienpflege), 1671, 1678, 1680 Abs. 2, 1681 Abs. 2 (elterliche Sorge), 1684 Abs. 4, 1685 Abs. 1 (Umgang), 1686 (Auskunftsrecht der Eltern), 1686a (Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters), 1687b (Sorgerechtliche Befugnisse des Ehegatten), 1688 Abs. 3 (Befugnisse einer Pflegeperson), 1696 Abs. 1 und 2 (Änderung von gerichtlichen Anordnungen), 1697a (Kindeswohlprinzip), 1741, 1751, 1761 (Annahme Minderjähriger), 1757 (Namensänderung). Im SGB VIII wird auf das Kindeswohl Bezug genommen in den 8a (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung), 27 (Anspruch auf Hilfe zur Erziehung), 38 (Einschalten des Jugendamtes bei Ausübung der Personensorge), 42 (Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen), 44 (Pflegeerlaubnis).

Unter juristischem Aspekt ist "Kindeswohl" ein unbestimmter Rechtsbegriff, eine Generalklausel, dessen Auslegung zum Inhalt richterlichen Entscheidens wird (s. Kap. 1).

Unter kognitionspsychologischem Aspekt ist der Begriff Kindeswohl der typische Fall einer Invariantenbildung: In einem schwer überschaubaren Feld wechselwirkender Einzelfaktoren wird die Komplexität reduziert durch Orientierung auf einen Bezugspunkt, und sei es auch lediglich ein theoretisches Konstrukt. Dadurch wird die Entscheidungsfindung erleichtert. Die Qualität des Entscheidens hängt davon ab, ob die gewählte Invariante tatsächlich die optimal sachadäquate Verdichtung auf die zu Grunde liegende Größe hin ist und Erklärungswert besitzt.

Unter moralpsychologischem Aspekt ist der Bezug auf das Kindeswohl ein Instrument der Rechtfertigung von Gesetzgebungs- oder Rechtsanwendungsakten, sowohl im Sinne begründeter Prinzipien als auch im Sinne der Motivveredelung und der missbräuchlichen Kaschierung einseitiger Interessen.

Unter wissenschaftstheoretischem Aspekt kann gelten: Der Begriff "Kindeswohl" ist eine definitorische Katastrophe. Das hat verschiedene Ursachen. Einige dieser Ursachen werden im Folgenden erörtert.

(1) Obwohl als Orientierungs- und Entscheidungsmaßstab familiengerichtlichen bzw. kindschaftsrechtlichen Handelns genutzt, wird nirgends im rechtlichen Regelwerk gesagt, was unter Kindeswohl zu verstehen ist. Obwohl als Schlüsselbegriff im Spannungsfeld von Elternrecht und staatlichem Wächteramt, findet der Begriff "Kindeswohl" im Grundgesetz selbst keinen Platz, wohl aber fast üppig in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. In ihnen zeigt sich die verfassungsrechtliche Relevanz des Kindeswohls. Angeregt werden sie aber durch einfachgesetzliche Entscheidungen.

(2) Der Begriff "Kindeswohl" soll als Instrument und Kriterium der Auslegung, z. B. der Kindesinteressen, dienen. Zugleich fehlt es ihm selbst an schlüssiger Auslegung. Bei wohlwollender Tendenz wird dies als Gestaltungsauftrag umschrieben. Häufig wird aber auch wenig zimperlich mit dem Begriff umgegangen. Er wird z. B. beurteilt als bar jeden normativen Gehalts, als "leere Schachtel" (Steindorff 1994) oder hohle Mystifikation (Keiser 1998) oder als "Pauschalfloskel", als "Worthülse"