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Die TanzendenOverlay E-Book Reader

Die Tanzenden

Roman | Victoria Mas

E-Book (EPUB)
2020 Piper Verlag
Auflage: 1. Auflage
240 Seiten
ISBN: 978-3-492-99625-9

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Kurztext / Annotation
»Deine beste Eigenschaft wird auch immer dein größter Makel sein: Du bist frei.« Brillante junge Literatur zwischen Feminismus, historischem Lehrstück und Unterhaltung: Der engagierte und aufwühlende Bestseller von Victoria Mas begeistert Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt! Die Geschichte in »Die Tanzenden« scheint unglaublich: In der Pariser Nervenheilanstalt La Salpêtrière findet Ende des 19. Jahrhunderts ein jährlicher Ball statt, bei dem sich die Insassinnen verkleiden und vor großem Publikum als Hysterikerinnen und Epileptikerinnen erniedrigen müssen. Denn für die Pariser Hautevolee sind diese Frauen so faszinierend wie Zootiere. Die neunzehnjährige Eugénie will das nicht mehr hinnehmen - und plant gemeinsam mit anderen ihren Ausbruch. Die Protagonistinnen dieses gefeierten Debütromans mögen eine literarische Erfindung sein, ihre Geschichte aber ist es nicht. Denn die Salpêtrière existiert bis heute. Hier wurden im 19. Jahrhundert Frauen eingeliefert, die der Gesellschaft zu vorlaut, zu selbstbestimmt, zu freiheitsliebend waren. Die Diagnose »Hysterie« bedeutete für viele ein Leben inmitten kranker, mittelloser und vergessener Frauen, abgeschnitten und ohne jede Chance auf Selbstverwirklichung. »In einer glasklaren Sprache, leicht wie ein Pastell, schreibt Victoria Mas gegen die männliche Norm an und gibt denen eine Stimme, die man mundtot gemacht, unterdrückt, hypnotisiert hat.« - L'Obs »Die Tanzenden« wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und für Amazon Prime verfilmt. Victoria Mas ist mit ihrem Debütroman auf Anhieb zu einer jungen Stimme des kämpferisch-modernen Feminismus geworden. Es ist die Kraft ihres einfühlsamen und mitreißenden Erzählens, die ihn zum Bestseller werden ließ - und das nicht nur in Frankreich! Wer das Ringen um Freiräume in einer viel zu engen Welt verstehen will, sollte diesen Roman lesen. »Starke Frauenfiguren, dazu diese wundersam zarte Sprache: ein wirklich beeindruckendes Debüt von Victoria Mas!« - Freundin

Victoria Mas, 1987 in Le Chesnay geboren, hat acht Jahre lang in den USA gelebt und dort als Script Supervisor, Standfotografin und Übersetzerin beim Film gearbeitet. Zurück in Paris, studierte sie Literatur an der Sorbonne und ist heute als freie Autorin und Journalistin tätig. Ihr Debüt »Die Tanzenden« erscheint in sechzehn Ländern und wurde mit mehreren Preisen geehrt, darunter dem Prix Stanislas und dem Prix Renaudot des lycéens.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

Geneviève

3. März 1885

 

»Louise. Es ist Zeit.«

Mit einer Hand zieht Geneviève die Decke weg, unter der zusammengekauert auf der schmalen Matratze der schlafende Körper der jungen Frau liegt. Ihr dunkles, dichtes Haar bedeckt das Kopfkissen und einen Teil ihres Gesichts. Den Mund halb geöffnet, schnarcht Louise leise. Die anderen Frauen im Schlafsaal, die bereits aufgestanden sind, hört sie nicht. Zwischen den aufgereihten Eisenbetten rekeln sich die weiblichen Gestalten, drehen sich die Haare zu einem Knoten auf, knöpfen ihre tiefschwarzen Kleider über den durchsichtigen Nachthemden zu und trotten unter den wachsamen Blicken der Krankenschwestern Richtung Speisesaal. Durch die beschlagenen Fensterscheiben dringt zaghaft die Sonne.

Louise steht als Letzte auf. Jeden Morgen reißt eine Pflegerin oder eine der anderen Geisteskranken sie aus dem Schlaf. Abends lässt sich die junge Frau erleichtert in eine tiefe, traumlose Nacht sinken. Schlafen heißt, sich nicht mehr mit dem befassen zu müssen, was geschehen ist, sich nicht besorgt zu fragen, was morgen wird. Seit es sie vor drei Jahren hierher verschlagen hat, verschafft ihr nur der Schlaf eine kurze Atempause.

»Hoch mit dir, Louise. Sie warten auf dich.«

Geneviève rüttelt das Mädchen am Arm, bis es schließlich die Augen öffnet. Zuerst ist Louise erstaunt, am Fußende ihres Bettes die Frau zu sehen, die von den Geisteskranken die Altgediente genannt wird, doch dann ruft sie:

»Ich hab doch Vorlesung!«

»Mach dich fertig, du hast genug geschlafen.«

»Ja!«

Die junge Frau springt aus dem Bett und nimmt ihr schwarzes Wollkleid vom Stuhl. Geneviève tritt zur Seite und beobachtet sie. Mit ihrem Blick verfolgt sie die fahrigen Handgriffe, die unsicheren Kopfbewegungen, die schnelle Atmung. Gestern hatte Louise erneut einen Anfall: Das darf sich vor der heutigen Vorlesung auf keinen Fall wiederholen.

Hastig schließt die junge Frau die Knöpfe ihres Kleides und wendet sich der Oberaufseherin zu. Stets aufrecht in ihrem weißen Dienstkleid, die Haare zu einem Dutt gesteckt, hat Geneviève etwas Einschüchterndes an sich. Mit den Jahren musste Louise lernen, mit ihrer strengen Art zurechtzukommen. Nicht dass sie ungerecht oder gar böswillig wäre, sie wirkt nur einfach nicht liebenswert.

»Ist es so recht, Madame Geneviève?«

»Lass deine Haare offen. Das ist dem Doktor lieber.«

Gehorsam löst Louise den flüchtig gedrehten Haarknoten wieder. Sie ist gegen ihren Willen eine junge Frau geworden. Die Begeisterung der Sechzehnjährigen ist dagegen noch ganz und gar kindlich. Der Körper ist zu schnell gewachsen; ihre Brust und die Hüften, die mit zwölf zum Vorschein kamen, haben sie nicht gewarnt vor den Folgen dieser plötzlichen Üppigkeit. Zu einem gewissen Teil ist die Unschuld in ihren Augen verschwunden, aber nicht ganz. Weswegen noch Hoffnung für sie besteht.

»Ich hab Lampenfieber.«

»Überlass dich allem, dann wird das schon.«

»Ja.«

 

Die beiden Frauen gehen einen Korridor des Krankenhauses entlang. Das morgendliche Märzlicht scheint durch die Fenster und wird von den Fliesen am Boden reflektiert - ein sanftes Licht, ein erstes Anzeichen für den Frühling und den Ball an Mittfasten, ein Licht, bei dem jede unwillkürlich lächelt und darauf hofft, sie käme hier bald heraus.

Geneviève spürt Louises Nervosität. Die junge Frau läuft mit gesenktem Kopf neben ihr her, ihre Arme hängen am Körper herab, ihr Atem geht schnell. Die Mädchen auf der Station sind immer angespannt, wenn sie Charcot persönlich treffen - vor allem, wenn er sie auserkoren hat, an einer Vorführung teilzunehmen. Es ist eine Verantwortung, die sie überfordert, eine Aufmerksamkeit, die sie verwirrt, ein Interesse, das so ungewohnt ist für die sonst unbeachtet gebliebenen Frauen, dass es ihnen fast den Boden unter den Füßen wegreißt -