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Erlebtes Europa

14 Menschen - 3 Generationen - 1 Europa | Christoph Chorherr; Judith Kohlenberger; Vedran Dzihic; Anna Pattermann; Anna Schor-Tschudnkowskaja; Gabriel und Othmar Karas; Hannes Androsch

E-Book (EPUB)
2024 Verlag Kremayr & Scheriau
208 Seiten
ISBN: 978-3-218-01419-9

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Kurztext / Annotation
'Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten.' (Walter Benjamin) Unsere ganz persönlichen Hoffnungen und Visionen wachsen aus unseren Erlebnissen. Mitbestimmt werden diese auch von politischen Faktoren. Aus seinen Begegnungen mit beeindruckenden Persönlichkeiten setzt sich für Herausgeber Helmut Brandstätter ein vielgestaltiges Europa zu einem spannenden Mosaik zusammen. Eine Generation, die noch im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist, sieht Entwicklungspotenziale anders als eine Generation, die den Fall der Berliner Mauer hautnah miterlebt hat. Menschen, die in der Pandemie das erste Mal Grenzkontrollen begegnet sind, teilen eine wieder andere Zukunfts-Perspektive. Vierzehn Persönlichkeiten aus drei Generationen erzählen von ihren Bildern Europas: Hannes Androsch, Helmut Brandstätter, Christa Chorherr, Vedran D?ihi?, Koschka Hetzer-Molden, Othmar Karas, Judith Kohlenberger, Manfred Osten, Anna Pattermann, Fari Ramic, Anna Schor-Tschudnowskaja, Timothy Smolka, Anna Stürgkh, Martin Weiss

Helmut Brandstätter, 1955 geboren, studierte Jura an der Universität Wien. Von 1982 bis 1997 beim ORF in Wien, Bonn und Brüssel als Redakteur, Korrespondent und Hauptabteilungsleiter Politik und Zeitgeschehen tätig. Danach Chefredakteur und Geschäftsführer bei n-tv, Berlin. Mitgründer und Geschäftsführer von PulsTV. Von 2010 bis 2018 Chefredakteur und von 2013 bis 2019 Herausgeber des KURIER. Seit 2019 Abgeordneter zum Nationalrat für die NEOS. Autor zahlreicher Bücher bei Kremayr & Scheriau.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Hannes Androsch
IM GESPRÄCH MIT HELMUT BRANDSTÄTTER

Helmut Brandstätter - Herr Dr. Androsch, Sie haben als Kind noch den Zweiten Weltkrieg erlebt, dann den Wiederaufbau, an dem Sie als Finanzminister und Vizekanzler unter Bruno Kreisky auch stark beteiligt waren. Nicht zuletzt aufgrund der Aufbauarbeit Ihrer Generation nahm Österreich, nahm ganz Europa einen unerwarteten Aufstieg. Zudem war Europa für junge Menschen - bis vor kurzem jedenfalls - ein friedlicher Kontinent, ein Kontinent ohne Grenzen. Die europäischen Förderprogramme Erasmus und Erasmus Plus haben viele zum Studium und zur Lehre in andere europäische Länder gebracht. Junge Menschen kennen folglich nur ein offenes Europa. Wie können Sie jungen Leuten erklären, was Krieg für Sie als Kind damals bedeutet hat?

Hannes Androsch - Am 12. März 1938 marschierte auf äußerst unbeholfene Weise die Wehrmacht des nationalsozialistischen Deutschlands in Österreich ein, annektierte unser Land und bezeichnete den aggressiven Akt irreführenderweise als "Anschluss". Diese Behauptung wurde allerdings durch die Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 widerlegt [Anm.: der "Anschluss" wurde darin für ungültig erklärt]. Als ich aber am 18. April 1938 zur Welt kam, wurde ich aufgrund der Annexion Österreichs im Deutschen Reich geboren. Allerdings erhielt ich nach dessen Untergang automatisch die österreichische Staatsbürgerschaft. Anders war es bei dem berühmten Maler Oskar Kokoschka, dem die österreichische Staatsbürgerschaft im Dritten Reich aberkannt worden war, was er jedoch nie akzeptiert hatte und weshalb er auch nicht bereit war, einen formellen Antrag auf Wiedererlangung zu stellen, worauf aber der damalige Innenminister Otto Rösch aus formalen Gründen bestand. Als Rösch dann eine seiner seltenen Auslandsreisen machte, nutzte Bruno Kreisky die Gelegenheit, um im Ministerrat für Oskar Kokoschka den Antrag zu stellen, der dann auch sofort bewilligt wurde. So hat Oskar Kokoschka seine aus seiner Sicht ohnehin nie verlorengegangene österreichische Staatsbürgerschaft wiedererlangt.

Das kurze 20. Jahrhundert - das Zeitalter der Extreme, wie es der berühmte britische Historiker mit Wiener Wurzeln, Eric Hobsbawm, genannt hat - bedeutete in seiner ersten Hälfte für Europa die Katastrophe von zwei Weltkriegen, einer verheerenden Zwischenkriegszeit, unter anderem weil sich Amerika nach 1918 wieder in Isolation begeben hatte, mit unvorstellbaren Zerstörungen, Millionen Opfern und der Vernichtung der europäischen Juden in der Shoa, sowie verbunden mit einem gewaltigen Bedeutungsverlust Europas, der nie mehr behoben wurde. Dies war die tragische erste Hälfte des Zeitalters der Extreme. In der zweiten Hälfte erlebte Europa einen ungeahnten wirtschaftlichen Wiederaufstieg, allerdings begleitet von politischer Bedeutungslosigkeit und getrennt aufgrund der Zweiteilung des Kontinents durch den Eisernen Vorhang. Der westliche Teil, zu dem trotz zehnjähriger Besatzung Österreich zählte, konnte sich mittels amerikanischer Unterstützung und US-Sicherheitsschirm wirtschaftlich erholen. Dies hat sich bis heute nicht geändert.

Den Krieg mit seinen Bomben, Zerstörungen und seinen Opfern und der kriegswirtschaftlichen Mangelwirtschaft mit Lebensmittelkarten habe ich als Kind schon bewusst erlebt. Unweit des Siedlungshauses meiner Großeltern und Eltern war eine Luftabwehrkaserne der deutschen Wehrmacht. Wenn die Sirenen heulten, mussten wir in den Keller gehen und hoffen, nicht getroffen zu werden. Nach dem Krieg wurde die Kaserne dann für die nächsten zehn Jahre der Besatzungszeit von der Sowjetarmee übernommen.

Aufgewachsen bin ich in einer schon seit dem 1.-Mai-Aufmarsch des Jahres 1890 sozialdemokratischen und antifaschistischen Familie. Sie musste ihre Erfahrungen in