Buchhandlung Schachtner

Suche

WünschenOverlay E-Book Reader

Wünschen

Roman | Chukwuebuka Ibeh

E-Book (EPUB)
2024 S. Fischer Verlag Gmbh
Auflage: 1. Auflage
320 Seiten
ISBN: 978-3-10-491954-6

Rezension verfassen

€ 19,99

in den Warenkorb
Kurztext / Annotation
Für den jungen Obiefuna, der im Nigeria der 2010er-Jahre aufwächst, sind Liebe und Verlangen untrennbar mit Schuld und Ablehnung verwoben. Als sein Vater Zeuge eines intimen Moments zwischen ihm und einem anderen Jungen wird, verbannt er den Sohn in ein christliches Internat, das von strenger Hierarchie und Gewalt geprägt ist. Allem Vertrauten entfremdet, begibt sich Obiefuna auf die Suche nach Verbundenheit. Seine Mutter Uzoamaka ringt indessen darum, ihn, den wichtigsten Menschen in ihrem Leben, nicht zu verlieren. Chukwuebuka Ibeh, der Shootingstar der nigerianischen Literatur, lässt mit »Wünschen« ein aufwühlendes und feinsinniges Porträt unserer Gegenwart entstehen - eine vielschichtige Geschichte über Liebe, Einsamkeit und die Frage, ob ein freies Leben möglich ist, wenn Politik tief in unser Herz und Bewusstsein gedrungen ist.

Chukwuebuka Ibeh, geboren 2000 in Port Harcourt, Nigeria, ist der internationale Shootingstar der nigerianischen Literatur. Er hat kreatives Schreiben bei Dave Eggers, Chimamanda Ngozi Adichie und Tash Aw studiert. Er hat unter anderem in »McSweeneys«, »The New England Review of Books« und »Brittle Paper« veröffentlicht. »Wünschen« ist sein erster Roman, dessen Filmrechte bereits vor Erscheinen verkauft wurden. Derzeit ist er Student der Washington University in St. Louis, Missouri.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

TEIL EINS
1.

PORT HARCOURT, 2006

Im Oktober kam er. Seine Ankunft war unangekündigt und unfeierlich. Ein leises Klopfen an der Tür an diesem milden Abend, als die Sonne gerade ihre letzten Strahlen warf. Und dann stand er da, in Badelatschen und mit einer quadratischen Plastiktasche über der Schulter, neben Obiefunas Vater Anozie, beide waren sie müde von der langen Reise.

Als Anozie davon gesprochen hatte, dass er überlege, jemanden im Laden anzustellen, um ihn zu unterstützen, hatte Obiefuna nicht gewusst, an wen er dabei gedacht hatte, aber irgendwie war es nicht die hochgewachsene Gestalt gewesen, die jetzt vor ihm stand, die Tasche an die Brust gepresst und die Mundwinkel leicht nach unten gezogen, während er den Blick auf die staubigen Füße gesenkt hielt. Er war einen Kopf größer als Obiefunas ohnehin schon großer Vater, aber es war vor allem die gleichmäßig dunkle Hautfarbe des Jungen, die Obiefunas Blick auf sich zog, als er ihnen die Tür öffnete. Der Junge schien unschlüssig, ob er Anozie ins Haus folgen oder auf der Schwelle kehrtmachen sollte. Nach einem Moment des Zögerns trat er schließlich ein, wobei er Obiefuna freundlich abwies, als der ihm mit der Tasche helfen wollte.

»Hallo, Papa«, sagte Obiefuna, ohne den Blick von dem Jungen abzuwenden.

»Wo ist deine Mutter?«, fragte Anozie murrend und ließ sich mit einem lauten Seufzer aufs Sofa fallen. Die Reise aus ihrer Heimatstadt Igbo-Ukwu dauerte im Schnitt gut sechs Stunden und konnte einen vollkommen erschöpfen.

Wie aufs Stichwort kam Obiefunas Mutter Uzoamaka aus der Küche. Sie blieb im Esszimmer stehen und sah den Neuankömmling an, der jetzt mit gesenktem Blick Anozie gegenüber auf einem Hocker saß. Sie sah seine Tasche und begriff die Situation. »Willkommen zurück«, sagte sie zu Anozie, und nickte Aboy nur zu, nachdem er sie schnell begrüßt hatte.

»Bring mir ein Glas Wasser«, sagte Anozie zu Obiefuna. Er mied Uzoamakas Blick. Vor genau einer Woche war er aufgebrochen, um in Igbo-Ukwu an der Versammlung der Gewerkschaft teilzunehmen, deren stellvertretender Vorsitzender er war, und eigentlich hatte sie ihn nicht vor dem nächsten Tag zurückerwartet, und schon gar nicht mit Begleitung. Er wartete, bis Obiefuna mit dem Wasser zurückkam, trank es aus, stellte das Glas auf dem Tisch ab und wandte sich dann erst Uzoamaka zu.

»Das ist Aboy. Erinnerst du dich an ihn? Der dritte Sohn des verstorbenen Okezie. Er hat die Mittelschule abgeschlossen und will jetzt einen Beruf lernen. Sein Onkel lief mir nach der Sitzung hinterher und hat mich gebeten, ihn bei uns aufzunehmen. Alle sagen, dass er sehr schnell lernen wird.«

Uzoamaka musterte Aboy noch einmal. Er saß mit leicht gespreizten Beinen da, die er an den Knöcheln gekreuzt hatte, wie ein Schutzwall vor seiner Tasche. Als Uzoamaka ihn ansah, zog er die Tasche noch näher an sich heran. In der Stille des Wohnzimmers hörte man nur das Knistern der Plastiktasche.

»Obiefuna, zeig Aboy, wohin er seine Sachen räumen kann«, sagte Uzoamaka schließlich auf Englisch.

Aboy wirkte erschrocken durch die Nennung seines Namens, stand aber vom Hocker auf, ging quer durch den Raum und folgte Obiefuna in das kleine Zimmer, das der mit seinem Bruder Ekene teilte. Dort erst ließ er die Tasche los und sah Obiefuna dabei zu, wie er sie im Schrank verstaute. Obiefuna drehte sich zu ihm um, als Aboy etwas sagte.

»Was?«

»Wo ist der Abtritt?«, wiederholte er auf Igbo.

»Der Abtritt?«

Er nickte und ging, als er Obiefunas ratlosen Gesichtsausdruck sah, etwas in die Hocke. Es dauerte einen Moment, bis Obiefuna verstand. »Oh, du meinst die Toilette?«, fragte er.

Aboy zögerte und nickte dann wieder.

»Komm mit«, sagte Obiefuna. Er ging mit Aboy zurück in den Flur und zeigte auf die Toilettentür am anderen Ende. Aboy ging mit