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Zeit finden

Jenseits des durchgetakteten Lebens | Jenny Odell

E-Book (EPUB)
2023 Verlag C.h.beck
Auflage: 1. Auflage
441 Seiten
ISBN: 978-3-406-80771-8

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Kurztext / Annotation
Von morgens bis abends ist unser Leben durchgetaktet: Jeder einzelne Moment wird erfasst, optimiert oder als ökonomische Ressource vereinnahmt - und das macht uns kaputt. Jenny Odell, die Autorin des New-York-Times-Bestsellers «Nichts tun», erkundet in Ihrem scharfsinnigen neuen Buch, welche falschen Vorstellungen unser modernes, kapitalistisches Zeitverständnis prägen und wie fernab davon ein menschlicheres, freieres Leben aussehen könnte. Was tun, wenn die Zeit immer zu knapp scheint? Um diese scheinbar einfache Frage zu beantworten, taucht Odell tief in die Geschichte der Menschheit ein. Sie rekonstruiert, wie es zur Einteilung des Tages in 24 gleichförmige, austauschbare Zeiteinheiten kommen konnte. Sie führt uns zur Entstehung der 'Zeit ist Geld'-Mentalität an den Fließbändern der tayloristischen Fabrik. Und sie problematisiert die Vermarktung von Entschleunigung als leicht konsumierbare Freizeiterfahrung in Yoga- und Achtsamkeitsretreats. Dabei entlarvt Odell die kapitalistischen und kolonialistischen Wurzeln unserer Zeiterfahrung und zeigt, wie diese untrennbar mit der Zerstörung unserer natürlichen Umwelt verbunden sind. Jenny Odells schillerndes, unkonventionelles Buch ist kein weiterer Ratgeber für effizientere Zeit- und Selbstoptimierung. Es ist das kluge und zutiefst hoffnungsvolle Plädoyer für ein Leben jenseits der tickenden Uhr, das mehr Raum für zwischenmenschliche Nähe, gesellschaftliche Teilhabe und Klimagerechtigkeit bietet. er:innen von Rebecca Solnit und Naomi Klein

Jenny Odell ist Künstlerin und Schriftstellerin. Sie lehrt an der Stanford University und war als Artist-in-Residence bei Facebook, dem Internet-Archiv und der Planungsabteilung der Stadt San Francisco tätig. Ihre Arbeiten erschienen u.a. in der New York Times, dem New York Magazine, The Atlantic, The Believer, The Paris Review und McSweeney's. Sie lebt in Oakland, Kalifornien.


Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

KAPITEL 1

Wessen Zeit, wessen Geld?

DER HAFEN VON OAKLAND

Zeit bedeutet für mich so etwas wie Lebensdauer und das Altern
von Individuen vor dem Hintergrund der Geschichte unserer Welt,
des Universums und der Ewigkeit.

Dominique, Schullehrerin,
in einem Interview in Barbara Adams Timewatch[1]

Zeitatome sind die Elemente des Gewinns.

Britischer Fabrikdirektor im 19. Jahrhundert,
zitiert in Karl Marx, Das Kapital[2]

Wir sind von Westen her durch den Seventh-Street-Tunnel in den Hafen von Oakland gelangt, in einer sonnenverblichenen Limousine, die ich seit der Highschool fahre. Das Display der Uhr in diesem Auto ist irgendwann lange zuvor verloschen, aber mein Handy sagt uns, dass es sieben Uhr morgens ist, acht Minuten nach Sonnenaufgang.

Vor uns liegt eine weite Betonfläche, durchbrochen von Palmen und allen möglichen Dingen: Trucks ohne Container; Container ohne Trucks, Chassis, Reifen, Kisten, Paletten. Alles zusammengeschmissen, manchmal gestapelt, so verteilt, dass wir es nicht gleich durchschauen. Eine Arbeitslandschaft. Wo die BART-Schienen und ihr Maschendrahtzaun im Untergrund verschwinden, um unterhalb der San Francisco Bay weiterzulaufen, geben sie den Blick frei auf eine andere Art von Zug, in zwei Reihen übereinander bepackt mit Containern in bunt gemischten Farbkombinationen: weiß und grau, leuchtend pink und marineblau, grellrot und staubig dunkelrot. Es gibt ein paar Hinweise auf menschlich-körperliche Belange: ein rot gestrichener Picknicktisch, eine mobile Toilettenkabine, ein leerer Essensstand und ein Werbebanner für chiropraktische Dienstleistungen.

Wir fahren in den Middle Harbor Shoreline Park ein, der vom SSA Marine Terminal durch einen durchsichtigen Zaun getrennt ist. Gleich auf der anderen Seite stehen die Container in sechs Reihen übereinander gestapelt, wie eine unendlich große Stadt aus gewelltem Metall. Ein Stück weiter erheben sich dinosaurierartige Gestalten: blaugrüne Portalstapler und weiße Schiffskräne, von denen manche 16 Stock hoch sind. Ein wuchtiges Schiff, das gerade aus Shenzhen gekommen ist, liegt unter ihnen. Aber im Augenblick stehen die Geräte still; die Arbeiter stempeln sich gerade ein.

Im Juli 1998 beschloss das Italian National Institute for Nuclear Physics (INFN), dass seine Mitarbeiter sich im Labor ein- und ausstempeln sollten.[3] Sie ahnten noch nicht, was für eine Welle der Empörung das auslösen würde, nicht nur im Institut selbst, sondern weltweit. Hunderte Wissenschaftler schrieben Beschwerdebriefe, um die INFN-Physiker zu unterstützen: In ihren Augen war dieser Schritt sinnlos bürokratisch, beleidigend und passte nicht zur tatsächlichen Arbeitsweise der Forscher. «Gute Wissenschaft kann nicht mit der Uhr gemessen werden», schrieb der ehemalige Direktor des American Institute of Physics. Ein Physikprofessor der Rochester University argwöhnte, dass offenbar «die Bekleidungsindustrie der USA das INFN berate, wie es seine Produktivität steigern solle». Und der stellvertretende Direktor des Lawrence Berkeley National Laboratory schrieb mit schneidendem Sarkasmus: «Als nächstes werden sie Euch wahrscheinlich an Eure Schreibtische und Laborbänke ketten, damit Ihr nicht mehr rausgeht, wenn Ihr einmal drin seid, oder noch besser Gehirnmonitore installieren, um sicherzugehen, dass Ihr am Schreibtisch über Physik nachdenkt und über nichts anderes.»

Von allen Briefen, die auf diese neue Politik reagierten, zeigten sich nur ein paar gegenüber dem Protest der Wissenschaftler ambivalent. Der klarste Widerspr