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Prophet

Roman | Sin Blaché; Helen Macdonald

E-Book (EPUB)
2023 Carl Hanser Verlag München
Auflage: 1. Auflage
528 Seiten
ISBN: 978-3-446-27861-5

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€ 18,99

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Kurztext / Annotation
Wenn die schönste Erinnerung zur gefährlichsten Waffe wird - ein genresprengender Thriller von Helen Macdonald und Sin Blaché
Im ländlichen England taucht ein amerikanisches Diner auf, hell, warm, einladend - aber ohne Strom, ohne Anschluss an die echte Welt. Als in der Nähe eine Leiche gefunden wird, werden zwei ungleiche Ermittler hinzugezogen: Dem zugeknöpften Adam Rubenstein widerstrebt alles an seinem chaotischen Partner Sunil Rao. Doch im Kampf gegen eine neue, bedrohliche Realität entwickelt sich zwischen den beiden eine unentrinnbare Anziehungskraft. Ein spektakulär spannender Roman über die beängstigende Macht nostalgischer Verklärung. Ein brillantes Spiel mit unseren Gewissheiten, ein messerscharfer Blick auf unsere Gegenwart und die mitreißende Liebesgeschichte zwischen zwei Geheimagenten.

Sin Blaché, geboren in Kalifornien, ist eine Schwarze irische Musiker:in und Autor:in. Sie lebt heute im Nordwesten Irlands. Prophet (mit Helen Macdonald, Hanser, 2023) ist ihr erster Roman.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

1

In dem Zimmer, in das sie ihn führt, riecht es nach schalem Zigarettenrauch und Raumspray. Die Einrichtung entspricht dem Military Standard eines Holiday Inn in den Achtzigern. Dunkelgrüner Teppichboden, gestreifte Sessel, ein Rauchglastisch, an der Wand ein Druck in vergoldetem Rahmen mit zwei F-15, die Kondensstreifen hinter sich herziehen. Das Dröhnen der Motoren ist hier zu einem dunklen Niedrigfrequenzlärm abgeschwächt.

Miller zieht ihre Jacke aus, legt sie über die Lehne eines Stuhls, zuckt beim Anblick einer halb ausgetrunkenen Tasse Kaffee auf dem Tisch zusammen und blickt Rao entschuldigend an. Ihre Augen sind hellblau wie Luftpostpapier, die Fältchen in den Augenwinkeln auf die Sonne zurückzuführen. Ihr Haar ist blondiert, oben zerzaust, an den Seiten und hinten raspelkurz, und ihr Kostüm schmiegt sich so perfekt an ihre hagere Figur, dass es ein Vermögen gekostet haben muss. Am linken Handgelenk trägt sie eine Cartier Tank Solo, an den Ohren prangen Goldstecker, und sie gibt sich so große Mühe, nett zu sein, dass Rao Zahnschmerzen hat. 

Sie setzen sich.

»Möchten Sie irgendwas?«

»Einen Drink.«

»Mr. Rao«, sagt sie mit tadelndem Unterton. »Ich kann Ihnen Kaffee, Tee oder Sprudel anbieten.«

»Wasser«, sagt er angespannt. »Ohne Eis.« Sie amüsiert sich, aus dem richtigen Grund. Sie erkennt Geringschätzung, auch wenn sie freundlich vorgebracht wird. Nach Raos Erfahrung besitzen nicht viele Amerikaner dieses Talent.

»Da drüben ist eine Kühlbox.«

Sie erwartet nicht, dass er aufsteht. Und er tut es auch nicht.

»Wahrscheinlich wissen Sie nicht, warum Sie hier sind.«

»Warum ich von zwei Beamten des Verteidigungsministeriums aus dem Gefängnis geholt und zu einer amerikanischen Air Base im hintersten Winkel Englands gebracht wurde? Nein, das weiß ich nicht. Sie wollten es mir nicht sagen.«

»Die beiden wussten es nicht. Wollen Sie raten?«

O Mann. Rao starrt ihr dunkles Spiegelbild auf der Platte des Rauchglastischs an, die Wölbung ihres Kinns, ihren erwartungsvoll geneigten Kopf. »Wissen Sie was? Sie können mich mal. Sagen Sie mir doch einfach, was Sie wollen, sonst kehre ich in meine lauschige Zelle zurück und widme mich wieder dem Rest meines Lebens.«

»Ach so?«

»Ganz genau.«

»Okay«, sagt sie gelassen. Sie greift in die Tasche vor ihren Füßen, zieht eine Akte heraus und schlägt sie auf. »Sunil Rao, sechsunddreißig Jahre alt, geboren 1974 in Kingston upon Thames, UK. Britischer Staatsbürger, im Besitz einer OCI-Karte. Sohn von Himani und Bhupinder. Mutter arbeitet für Christie's. Vater Familienbetrieb, edler Schmuck.« Sie liest weiter, hebt eine Braue. »Sehr schön. Schulzeit in St. Elgin's. Abschluss in Kunstgeschichte am St. John's College, Oxford. Sechs Jahre bei Sotheby's, Echtheit und Zuordnung, dann MI6.« Sie blickt auf und lächelt. »Sehr patriotisch.«

Sie ist offensichtlich auf eine Reaktion aus. Was bedeuten könnte, dass sie nicht genug Informationen hat, um ihn zu irgendetwas zu drängen. Wahrscheinlich will sie bloß seine Geduld auf die Probe stellen. Beides spräche dafür, dass sie ihn nicht in den nächsten zwanzig Minuten in ein Flugzeug zurück nach Kabul setzen, doch das macht ihre Strategie nicht erträglicher.

»Im letzten Herbst acht Wochen gemeinsame Operation in Zentralasien.« Ihre Stimme wird weicher. »Ihr Partner bei der DIA hat Ihre Fähigkeiten in den höchsten Tönen gelobt.«

»Tatsächlich? Ich habe den Dienst quittiert.«

»Das ist uns bekannt.« Sie blickt stirnrunzelnd in die Akte. »Dann Afghanistan. Wo es offenbar nicht ganz so gut lief. Hier steht, dass Sie unzuverlässig wurden.«

»In höchstem Maße.«

»Hier steht, Sie hätten in einem Hotelzimmer