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Niemand weiß, wie spät es istOverlay E-Book Reader

Niemand weiß, wie spät es ist

Roman | René Freund

E-Book (EPUB)
2016 Deuticke
272 Seiten
ISBN: 978-3-552-06330-3

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Kurztext / Annotation
Nora hat ihren Vater verloren. Das wäre schon schlimm genug, doch dann erfährt sie seinen letzten Willen. Sie muss Paris und ihr schönes Leben in Frankreich verlassen, um mit der Asche ihres Vaters im Handgepäck und einem pedantischen jungen Notariatsgehilfen, der ihr täglich das nächste Etappenziel mitteilt, eine Wanderung zu unternehmen - durch Österreich, ein Land, das sie kaum kennt. Nora, die lebenslustige Chaotin, und Bernhard, der strenge Asket, folgen zwischen Regengüssen, Wortgefechten und allmählicher Annäherung einem Plan, der ihr Leben auf den Kopf stellen wird. Ein Roman über Liebe und Freundschaft und über eine ungewöhnliche Reise mit überraschendem Ziel.

René Freund, geboren 1967, lebt als Autor und Übersetzer in Grünau im Almtal. Er studierte Philosophie, Theaterwissenschaft und Völkerkunde und war von 1988 bis 1990 Dramaturg am Theater in der Josefstadt. Im Deuticke Verlag sind bisher erschienen: Liebe unter Fischen (2013), seine Familiengeschichte Mein Vater, der Deserteur (2014), Niemand weiß, wie spät es ist (2016) und zuletzt Ans Meer (2018).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet



1

Wellenartig entfaltete sich die Wärme in ihrem Schoß, breitete sich aus, die Beine entlang und in den Bauch hinauf. Nora empfand die Heftigkeit der Glut als unheimlich, aber sie hielt still.

Der Taxifahrer fuhr abrupt an, beschleunigte fünfzehn Meter lang auf Hochtouren und bremste ab wie ein Irrer.

" Doucement, s ' il vous plaî t" , sagte Nora.

Der Fahrer sah missmutig in den Rückspiegel. Ein typischer Pariser Taxifahrer, selbst in seiner Unfreundlichkeit unverbindlich, dachte Nora und sah der Seine beim Fließen zu, scheinbar das Einzige, was sich bewegte im Verkehrsstillstand des Freitagnachmittags. Es regnete in Strömen.

" Was haben Sie gesagt? " , fragte Bernhard.

" Dass er nicht so wild fahren sol l" , antwortete Nora.

" Das bringt auch überhaupt nicht s" , sagte Bernhard. " Sagen Sie ihm, der Benzinverbrauch steigt um etwa sechzig Prozent, und der sinnlose Verschleiß der Bremsen verringert deren Lebensdauer um bis zu hundert Prozent ."

Nora ignorierte ihn und sah wie ein trotziges Kleinkind zum Fenster hinaus.

Die Hitze in ihrem Schoß wurde unerträglich.

" Hier, nehmen Si e" , sagte Nora plötzlich.

" Ich würde es vorziehen, wenn er hier zwischen uns säß e" , sagte Bernhard. " Sie wissen, dass eine Überhitzung des Genitalbereichs bei Männern zu Unfruchtbarkeit führen kann ."

Nora überlegte eine schnelle Antwort, aber zu Genitalbereich und Unfruchtbarkeit fiel ihr in diesem Augenblick nichts Schlagfertiges ein. Erst jetzt wurde ihr so richtig bewusst, dass sie sich mit diesem Typ auf eine Reise begeben musste! Eine Reise, die mehrere Tage, wenn nicht Wochen dauern würde. Es war so unfassbar!

" Was haben Sie da?", fragte der Taxifahrer streng. Ein typischer Pariser Taxifahrer, dachte Nora, paranoid bis dorthinaus.

" Das ist eine Urn e" , sagte Nora. " Die Urne mit der Asche meines Vaters ."

" Ganz frisch? " Jetzt war der Taxifahrer besorgt.

" So frisch, wie Asche sein kan n" , antwortete Nora. " Sie müssen es doch wissen, Sie haben uns beim Père Lachaise mitgenommen ."

" Sie kamen direkt aus dem Krematorium?"

" Jedenfalls mein Vater. Aber keine Sorge, wir machen keine Brandlöcher in Ihre Sitze ."

" Mein Beilei d" , sagte der Taxifahrer. Ein typischer Pariser Taxifahrer, dachte Nora, weiches Herz unter der rauen Schale. Und sicher kommt jetzt noch ein Witz, denn der typische Pariser Taxifahrer hat auch Humor.

" Muss ein heißer Typ gewesen sein, Ihr Vate r" , sagte der Taxifahrer.

" Kann man so sage n" , murmelte Nora, und einen Augenblick lang glaubte sie, die Wassertropfen, die über die Spiegelung ihres Gesichts die Scheibe hinabliefen, wären ihre Tränen.

2

Tags zuvor hatte das ganze Schlamassel begonnen. Nora wusste, wenn der Wecker schon vor sieben Uhr schrillt, ist das selten ein gutes Zeichen. Sie hatte einen merkwürdigen Termin vor sich. Und das am anderen Ende der Stadt. Genau genommen schrillte ihr Wecker nicht, sondern das Handy meldete sich mit einem Harfenton. Den hatte sie eingestellt, weil es der sanfteste Klingelton war, doch sie hatte ihn im Laufe der Zeit zu hassen gelernt. Der Kaffee und die Dusche halfen nicht viel. Schlaftrunken wankte sie durch das Labyrinth der U-Bahn-Schächte.

Im prunkvollen Eingangsbereich des Stadtpalais kam sich Nora winzig und hil

René Freund, geboren 1967 in Wien, lebt seit fast zwanzig Jahren in Oberösterreich. Autor zahlreicher Theaterstücke, die zwischen Wien und Berlin aufgeführt wurden. Außerdem erschienen von ihm Sachbücher, Lesereisen zum Salzkammergut und dem Jakobsweg und Romane.