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Das Floß der MedusaOverlay E-Book Reader

Das Floß der Medusa

Roman | Franzobel

E-Book (EPUB)
2017 Paul Zsolnay Verlag
Auflage: 1. Auflage
592 Seiten
ISBN: 978-3-552-05843-9

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Kurztext / Annotation
18. Juli 1816: Vor der Westküste von Afrika entdeckt der Kapitän der Argus ein etwa zwanzig Meter langes Floß. Was er darauf sieht, lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren: hohle Augen, ausgedörrte Lippen, Haare, starr vor Salz, verbrannte Haut voller Wunden und Blasen ... Die ausgemergelten, nackten Gestalten sind die letzten 15 von ursprünglich 147 Menschen, die nach dem Untergang der Fregatte Medusa zwei Wochen auf offener See überlebt haben. Da es in den Rettungsbooten zu wenige Plätze gab, wurden sie einfach ausgesetzt. Diese historisch belegte Geschichte bildet die Folie für Franzobels epochalen Roman, der in den Kern des Menschlichen zielt. Wie hoch ist der Preis des Überlebens?

Franzobel, geboren 1967 in Vöcklabruck, erhielt u. a. den Ingeborg-Bachmann-Preis (1995), den Arthur-Schnitzler-Preis (2002) und den Nicolas-Born-Preis (2017). Bei Zsolnay erschienen zuletzt der Krimi Rechtswalzer (2019) sowie die in zahlreiche Sprachen übersetzten historischen Romane Das Floß der Medusa (2017) und Die Eroberung Amerikas (2021).

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Ein fetter Morgen

Dreimal neun ist Donnerstag, und der 18. Juli des Jahres 1816 war ein herrlicher Donnerstag. Kein Wölkchen trübte den azurblauen Himmel, die Sonne blendete, und selbst die Luft, sonst dunstig, war klar wie ein Kristall. Etwa dreißig Seemeilen vor der Küste Westafrikas glitt die Brigg Argus durch die glatte See. Tümmler und Delphine sprangen neben ihr her, Möwen umkreisten das Kielwasser, zogen Bögen, hoben und senkten sich, berührten mit den Federspitzen fast das Wasser. Die Bewegungen an Bord griffen so harmonisch ineinander wie bei einem komplizierten Räderwerk. Keine Anstrengung war zu spüren.

Dann geriet ein Sandkorn ins Getriebe. Es war elf Uhr vormittags, die Argus war einige Meilen über Nouakchott, mittlerweile Hauptstadt von Mauretanien, ungefähr auf Höhe von Portendick, da meldete der Toppsmatrose zwei Strich Steuerbord ein seltsames Objekt. Niemand ahnte, was das bedeutete. Am wenigsten wir, doch werden wir es bald erfahren.

Was für ein Objekt? Der Kapitän, Léon Parnajon, zog an seiner Pfeife, ließ sich das Fernrohr reichen und konnte nichts entdecken - weder ein Schiff noch eine Insel. Treibgut? Erst Minuten später geriet etwas in die kleine Fernrohrwelt, sah der Kommandant eine schwimmende Plattform mit einem Zelt darauf. Mauren? Berber? Andere Kameltreiber? Eine abgetriebene Behausung der Wüstenbewohner? Geflohene Sklaven? Es kam zu jener Zeit ständig vor, dass Schwarze ihre Aufseher überwältigten und absurd anmutende Fluchtversuche unternahmen. Als der Kapitän noch nach einer Erklärung suchte, sah er eine taumelnde Gestalt. Sie stellte sich an den Rand der Plattform, bog den Kopf nach hinten und ... ja, kein Zweifel, der Mann urinierte - so, wie es aussah, in die Hand und ... ja, das gibt's doch nicht, er trank das Zeug. Sobald der Pisskopp aufblickte und die Segel der Argus sah, begann er wild zu hüpfen und zu winken. Jetzt kletterte er gar auf den Mast, schwenkte ein Tuch.

Immer mit der Ruhe, Pisskopp. Wir haben dich bereits gesehen.

Der Kerl konnte sich nicht lange halten, glitt den Mast hinunter und verschwand im Zelt. Jetzt kamen andere heraus, winkten ebenfalls. Als sie sahen, dass die Argus näher kam, sie entdeckt waren, fielen sie einander um den Hals, umarmten sich.

Nein, das sind keine geflohenen Sklaven. Keine Darkies. Vielleicht Schiffbrüchige? Von der Medusa? Unmöglich! Die Medusa ist vor zwei Wochen gestrandet, jetzt kann man mit Glück Überlebende an der Küste finden, vielleicht das Wrack.

Eine halbe Stunde später hatte die Argus das seltsame Gefährt erreicht. Offensichtlich ein Floß. Oder die Zugbrücke einer Burg? Jedenfalls hatte das Vehikel, da hatte sich der Kapitän nicht getäuscht, einen kleinen Mast und ein Sonnenzelt. Der Schiffsjunge zählte dreizehn, vierzehn, fünfzehn ausgemergelte Gestalten. Die meisten waren nackt, trugen aber Stiefel, die an den dünnen Beinen komisch wirkten - wie Kinderfüße in zu großen Schuhen. Wandelnde Skelette! Einer hatte eine Flachsperücke auf, gelbe Uniformjacke und einen Säbel umgebunden. Sein Dreispitz wies ihn als Angehörigen der Armee aus. Franzosen? Oder Piraten? Nur fünf konnten sich auf ihren Beinen halten, die anderen lagen oder kauerten. Man ließ das Beiboot zu Wasser und ruderte zu ihnen hin.

- Seid vorsichtig, rief Parnajon. Vielleicht ist es eine Falle. Vielleicht ...

Nein, keine Falle. Als man nahe genug war, sah man hohle Augen, das Gestrüpp stacheliger Bärte, ausgedörrte Lippen, trocken wie Pergamentpapier. Verbrannte Schultern, abgeschälte Haut, alles voller Wunden, Blasen. Nein, das waren keine Sklaven, keine Berber und auch keine Piraten, sondern Europäer. Pissköpp! Aber was für welche! Skelette mit hervorstehenden Brustkörben, harfenförmigen Beckenknochen und fladen