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Der Geruch des ParadiesesOverlay E-Book Reader

Der Geruch des Paradieses

Elif Shafak

E-Book (EPUB)
2016 Kein & Aber
Auflage: 1. Auflage
420 Seiten
ISBN: 978-3-0369-9345-4

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Kurztext / Annotation
Als Peri auf dem Weg zu einer Dinnerparty in Istanbul auf offener Straße überfallen wird, fällt ein Foto aus ihrer Handtasche ein Relikt aus ihrer Studienzeit in Oxford. Daraufhin wird sie von der Erinnerung an einen Skandal eingeholt, der ihre Welt für immer aus den Fugen gehoben hat. Elif Shafak verwebt meisterhaft Fragen der Liebe, der Schuld und des Glaubens und erzählt, wie der Kampf zwischen Tradition und Moderne die junge Frau zu zerreißen droht.

Elif Shafak, in Straßburg geboren, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellerinnen der Gegenwart. Ihre Werke wurden in über fünfzig Sprachen übersetzt. Die preisgekrönte Autorin von siebzehn Büchern, darunter 'Die vierzig Geheimnisse der Liebe' (2013), 'Ehre' (2014) und 'Der Geruch des Paradieses' (2016), schreibt auf Türkisch und Englisch. Mit ihren Artikeln und Auftritten wurde sie zum viel beachteten Sprachrohr für Gleichberechtigung und freiheitliche Werte zunächst in der Türkei, später in ganz Europa. Elif Shafak lebt in London. www.elifshafak.com

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Der stumme Dichter

istanbul, 1980er-jahre

Als Peri klein war, lebten die Nalbantoglus in der Straße des Stummen Dichters in einem von Angehörigen der unteren Mittelschicht bewohnten Viertel auf der asiatischen Seite Istanbuls. Wenn der Tag zu Ende ging, strömte ein Gemisch von Düften aus den offenen Fenstern - der Geruch von ausgebackenen Auberginen, frisch gemahlenem Kaffee, heißem Fladenbrot, gebratenem Knoblauch -, so stark, dass es alles durchdrang und in die Abflussrinnen und Gullys sickerte, so scharf, dass am nächsten Tag der Morgenwind sofort die Richtung änderte. Aber die Leute dort beschwerten sich nie, denn sie rochen es nicht. Es stieg nur Menschen von außerhalb in die Nase, und für die wenigsten Menschen von außerhalb gab es jemals einen Grund, das Viertel zu betreten. Die Häuser lehnten aneinander wie Grabsteine auf einem verwahrlosten Friedhof, und der alles bedeckende Nebel aus Langeweile lichtete sich nur dann und wann, wenn das Geschrei von Kindern, die im Spiel geschummelt hatten, die Luft durchschnitt.

Es wurde viel darüber gemunkelt, wie die Straße zu ihrem sonderbaren Namen gekommen war. Manche glaubten, ein berühmter osmanischer Dichter aus der Gegend, unzufrieden mit dem kümmerlichen Bakschisch, das er vom Palast für ein Gedicht erhalten hätte, wäre zu dem Entschluss gekommen, so lange kein Wort mehr zu sprechen, bis der Sultan ihm ein angemessenes Honorar zahlte.

»Der Herr über die Reiche Cäsars und Alexanders des Großen, Gebieter über drei Kontinente und fünf Meere, der Schatten Gottes auf Erden, lässt seinem demütigen Untertan gewisslich seine grenzenlose Großzügigkeit zuteilwerden. Tut er es aber nicht, so erkenne ich darin ein Zeichen der Minderwertigkeit meiner Gedichte und werde stumm bleiben bis zum Tag meines Todes, denn ein toter Dichter ist besser als ein schlechter.« Dies waren seine letzten Worte, bevor er sich in tiefstes Schweigen hüllte. Es lag keine Anmaßung in seinem Tun. Er verehrte, fürchtete und befolgte alles, was einen Herrscher für ihn ausmachte. Doch weil er ein Dichter war, gierte er nach mehr Aufmerksamkeit, Lob und Liebe, und ein paar Münzen mehr wären eben auch nicht schlecht gewesen.

Als der Sultan von der Sache erfuhr, erheiterte ihn die Dreistigkeit des Dichters, und er versprach ihm Genugtuung. Wie alle Despoten betrachtete er Künstler mit gemischten Gefühlen. Einerseits missbilligte er ihre Unberechenbarkeit und ihren Ungehorsam, andererseits genoss er ihre Gesellschaft - vorausgesetzt, sie kannten ihre Grenzen. Die Künstler besaßen eine ungewöhnliche Sicht der Dinge, die sehr unterhaltsam sein konnte, außer wenn sie es nicht war. Er hatte immer gern ein paar Künstler bei sich am Hof, nahm sie aber hart an die Kandare. Sie durften sagen, was sie wollten, solange sie es unterließen, den Staat und die Gesetze, die Religion und den Allmächtigen, vor allem aber den Herrscher zu kritisieren.

Im Serail war es zu einer Verschwörung gekommen, die den Sturz des Sultans und die Inthronisierung seines ältesten Sohnes zum Ziel hatte, und so wollte es das Schicksal, dass der Herrscher noch in derselben Woche ermordet wurde - mit einer Bogensehne aus Seide, um nicht sein edles Blut zu vergießen. Bei den Osmanen folgten Leben wie Sterben genau festgelegten Gesetzen; alles hatte seine Ordnung. Angehörige der Sultansfamilie wurden erdrosselt, Diebe gehängt, Rebellen geköpft, Strauchdiebe gepfählt, Würdenträger in einem Mörser zerstampft und Konkubinen in beschwerten Säcken ins Meer geworfen. Jede Woche stellte man neue abgetrennte Köpfe auf den Galgen vor dem Palast zur Schau, stopfte ihre Münder mit Baumwolle, wenn es sich um hohe Beamte handelte, mit Stroh, wenn sie unbedeutend waren. Der Dichter hatte ähnlich starre Prinzipien. An den Schwur gebunden, blieb er stumm bis zu dem Tag, an dem er sein Leben aushauchte.

Es gab noch eine zweite Version der Geschichte. Als der Dichter großzügige