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Einzeln sein

Eine philosophische Herausforderung | Rüdiger Safranski

E-Book (EPUB)
2021 Carl Hanser Verlag München
Auflage: 1. Auflage
288 Seiten
ISBN: 978-3-446-27168-5

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Kurztext / Annotation
Wie kommen wir damit zurecht, auf uns allein gestellt zu sein? Rüdiger Safranski über den Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft. Eine ganz besondere Geschichte der Philosophie
Jeder Mensch ist zunächst einmal ein Einzelner. Das kann zur Belastung werden, vor der ein Leben in Gemeinschaft schützt, das kann aber auch den Ehrgeiz wecken, die eigene Individualität zu kultivieren. Zwischen beiden Polen unserer Existenz hat es immer wieder eindrucksvolle Versuche gegeben, einzeln zu sein. Davon erzählt Rüdiger Safranski in seinem neuen Buch. Er beginnt bei Michel de Montaigne und führt über Rousseau, Diderot, Kierkegaard, Stirner und Thoreau bis zur existentialistischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Dabei nähert er sich aus immer anderen Richtungen der Frage, wie weit wir es ertragen, Einzelne zu sein - eine Frage, die sich ganz überraschend in unser alltägliches Leben gedrängt hat.

Rüdiger Safranski, geboren 1945, studierte Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Wissenschaftlicher Assistent, Herausgeber und Redakteur der Berliner Hefte, Dozent in der Erwachsenenbildung, seit 1986 freier Autor. Für sein in 26 Sprachen übersetztes Werk wurde er u.a. mit dem Thomas-Mann-Preis (2014), mit dem Ludwig-Börne-Preis (2017) und dem Deutschen Nationalpreis (2018) ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund! Biographie (2019) und Klassiker! (2019, mit Michael Krüger und Martin Meyer). Er lebt in Badenweiler.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Kapitel 1

Die Renaissance und der neu erwachte Sinn für den Einzelnen

Jeder ist ein Einzelner. Aber nicht jeder ist damit einverstanden und bereit, etwas daraus zu machen. Es kommt stets darauf an, wie der Einzelne die Probleme seiner Einzelheit annimmt und erträgt, Einsamkeit etwa oder schicksalhafte Gegebenheiten aus biologischen Prägungen und gesellschaftlichen Zufällen. Übernimmt man sie oder hadert mit ihnen, versucht man sie zu verbergen vor sich und den anderen? Entwickelt man das Eigene, oder gleicht man sich an? Meistens entscheidet man sich für irgendetwas dazwischen, und doch gibt es auch die Flucht in das Nicht-Eigene, wobei keiner er selbst ist, sondern jeder wie der andere.

Wer als Einzelner seine Eigenheit entdeckt und annimmt, möchte zwar sich selbst gehören, aber doch auch zugehörig bleiben. Diese Spannung bleibt. Denn man kann die Vereinzelung unfreiwillig erleiden, und man kann sie freiwillig in Kauf nehmen im Kampf um seine Eigenheit. Dabei lockern sich wohl die Bindungen an die Familie und andere Gesellschaftsverbände. Wer sich als Einzelner erlebt, steht im Freien, ohne sich deshalb schon befreit zu fühlen. Denn er merkt, wie sehr er auf Anerkennung angewiesen bleibt, insgeheim oder ausdrücklich. Der Einzelne, der auf seiner Eigenheit besteht, begnügt sich nicht mit dem einfachen Dazugehören, er will vielmehr in dem anerkannt werden, was ihn von anderen unterscheidet. Nicht das Gleichsein, sondern der Unterschied soll anerkannt werden.

Von der Einzelheit her lassen sich Gesellschaftstypen unterscheiden, je nachdem ob sie die Einzelheit begünstigen und gar zum Gesellschaftszweck erheben oder sie eher hemmen. Es geht also nicht nur darum, wie viel Einzelheit der Mensch überhaupt will und erträgt, sondern auch darum, welche gesellschaftlichen Begünstigungen oder Beeinträchtigungen er dabei erfährt.

Vieles spricht dafür, dass es, vor allem in Westeuropa, eine gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Individualisierung gegeben hat und noch gibt. Zuletzt hat Andreas Reckwitz mit Blick auf die Spätmoderne von einer Logik des Singulären gesprochen. Schon Norbert Elias hatte die Grundzüge dieser Entwicklung analysiert und Jacob Burckhardt sie am Beispiel der italienischen Renaissance geschildert, diesem nach der griechischen Antike wohl zweiten großen Durchbruch einer Individualkultur.

Wenn der Einzelne auf sich selbst aufmerksam wird, neigt er dazu, sich der Gesellschaft insgesamt gegenübergestellt zu sehen, als handelte es sich um zwei Substanzen, hier drinnen das Ich, dort draußen die Gesellschaft und dazwischen das Spiel der Wechselwirkungen. Norbert Elias hat auf die optische Täuschung hingewiesen, die diesem Modell zugrunde liegt. Wir stehen nämlich der Gesellschaft niemals einfach gegenüber, denn wir sind und bleiben stets in ihr enthalten, auch dann, wenn wir uns von ihr vermeintlich absetzen. Individualisierung ist selbst ein gesellschaftlicher Prozess. Sie steht nicht in einem Gegensatz zur Gesellschaft, sondern ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Differenzierung, die es dem Einzelnen erlaubt, sich für bedeutungsvoll zu halten. Das Ich, das sich in seiner vermeintlichen Unverwechselbarkeit der Gesellschaft entgegensetzt, unterliegt einer Selbsttäuschung und weigert sich einzusehen, dass die Gesellschaft ... nicht nur das Gleichmachende und Typisierende, sondern auch das Individualisierende (ist). Daraus entsteht notwendigerweise ein Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Gesellschaftlichkeit, zwischen Ich und Wir. Im Blick auf die Geschichte dieses Spannungsverhältnisses konstatiert Norbert Elias: Auf den früheren Stufen ... neigte sich die Wir-Ich-Balance zumeist stark nach der Seite des Wir. Sie neigt sich in neuerer Zeit oft recht stark nach der Seite des Ich.

In der Epoche der italienischen Renaissance, an der Schwelle zur Neuzeit, hat