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Flüchtiges Begehren

Commissario Brunettis dreißigster Fall | Donna Leon

E-Book (EPUB)
2021 Diogenes
Auflage: 2. Aufl.
320 Seiten
ISBN: 978-3-257-61166-3

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€ 11,99

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Kurztext / Annotation
Samstagabend auf dem Campo Santa Margherita. Nach einem Drink lassen sich zwei Touristinnen von ein paar Einheimischen zu einer Spritztour in die Lagune verführen. In der Dunkelheit rammt das Boot einen Pfahl, und die Amerikanerinnen enden bewusstlos auf dem Steg des Ospedale. Warum alarmierten ihre Begleiter nicht die Notaufnahme, wenn alles nur ein Unfall war? Je hartnäckiger Brunetti ermittelt, desto näher kommt er einem Monstrum, vor dem sich selbst die Mafia fürchtet.

Donna Leon, geboren 1942 in New Jersey, arbeitete als Reiseleiterin in Rom und als Werbetexterin in London sowie als Lehrerin und Dozentin im Iran, in China und Saudi-Arabien. Die ?Brunetti?-Romane machten sie weltberühmt. Donna Leon lebte viele Jahre in Italien und wohnt heute in der Schweiz. In Venedig ist sie nach wie vor häufig zu Gast.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Auf der Treppe zu seinem Büro ging Brunetti seine Geschichte mit dem angeblich schlechten Handyempfang nicht aus dem Kopf. Die Questura war an allen Ecken und Enden nicht in Schuss, Brunettis Erfindung also durchaus glaubwürdig. Die Heizung war ein Witz, pustete im Winter nur schwach mal hier, mal da im Gebäude. Eine Klimaanlage gab es nur in wenigen privilegierten Büroräumen. Die Stromversorgung funktionierte zwar einigermaßen, aber gelegentliche Spannungsspitzen hatten bereits mehrere Computer und einen Drucker zerstört. Die Belegschaft war mittlerweile so leidgeprüft, dass hin und wieder explodierende Glühbirnen nur noch als Vorspiel für das Feuerwerk zu Redentore betrachtet wurden. Auch die sanitären Einrichtungen zickten hin und wieder; das Dach war an zwei Stellen undicht, und die meisten Fenster ließen sich schließen, manche aber nicht öffnen.

Brunetti überlegte, ob er nicht selbst diesem Gebäude glich, hier ein Zipperlein, da ein kleiner Defekt, aber dann gingen ihm die Vergleiche aus. Er nahm die Hand vom Geländer und richtete sich beim Treppensteigen gerader auf.

Oben im Büro warf er die am Campo Santa Marina gekauf_te Zeitung auf den Schreibtisch. Er fand es unangenehm warm und öffnete ein Fenster. Die Aussicht, das musste er zugeben, hatte sich verbessert, seit man die Kirche frisch herausgeputzt und das altersschwache Katzendomizil entfernt hatte. Aber die Katzen fehlten ihm doch.

 

Er nahm sein Handy aus der Tasche und wählte Paolas Nummer. Sie meldete sich erst nach mehrmaligem Läuten: »Sì?« Weiter nichts.

»Ah«, rief Brunetti und erklärte dann mit tiefer Stimme: »Was hört mein Herz für Töne, beglückt von ...«

»Was gibt es, Guido?«, unterbrach sie ihn, und dann erklärend: »Ich spreche gerade mit einem meiner Studenten.«

Brunetti hatte sich eigentlich nur erkundigen wollen, was es zum Abendessen geben würde; jetzt sagte er: »Ich wollte dir nur sagen, wie sehr ich dich liebe.«

»Besten Dank«, meinte sie und hängte ein, bevor er zu weiteren Ergüssen ansetzen konnte.

Brunetti schielte nach der Zeitung - mit Sicherheit interessanter als die ungelesenen Rapporte auf seinem Schreibtisch, berichtete sie doch über die Ereignisse in der Welt jenseits des Ponte della Libertà. Wie oft hielt er seinen Kindern ihren Mangel an Neugier vor, nicht nur, was ihr Heimatland betraf, sondern auch darüber hinaus. Wie sollten sie zu verantwortungsvollen Bürgern heranreifen, ohne über ihre Staatsvertreter und Gesetze Bescheid zu wissen sowie die Allianzen, die uns mit Europa und anderen Ländern verbanden?

Noch bevor er den Gazzettino aufschlug, hatte Brunetti eine Eloge auf den Patriotismus entworfen, auf die selbst Cicero stolz gewesen wäre. Die narratio fiel ihm nicht schwer: Seine Kinder interessierten sich nicht für die Politik ihres Landes. Die refutatio war ein Leichtes: Mühelos könnte er die Behauptung vom Tisch fegen, Italien sei eine bloße Marionette von Deutschland und Frankreich. Nach der peroratio, in der er sie beschwor, ihre Verantwortung als Staatsbürger wahrzunehmen, wollte er gerade zum Schluss kommen, als sein Blick auf die Schlagzeile fiel: »Morta la moglie strangolata: Una settimana di agonia.« Also war sie gestorben, die junge Frau, die ihr heroinsüchtiger Mann bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt hatte - nach einer Woche Todeskampf, die Ärmste. Sie hinterließ ein Kind. Wie so oft in solchen Fällen hatten sie kurz vor der Scheidung gestanden. Nun ja.

Dann eine kurze Meldung über zwei junge Amerikanerinnen, die man am Sonntag in den frühen Morgenstunden auf dem Steg vor der Notaufnahme des Ospedale Civile bewusstlos vorgefunden hatte. Der Artikel nannte ihre Namen. Dann hieß es nur noch, eine der beiden hätte einen gebrochenen Arm gehabt.

Unaufhaltsam wanderte sein Blick zu dem Artikel darunter: Da ging es um die Durchsuchung