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Der empfindsame TitanOverlay E-Book Reader

Der empfindsame Titan

Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke | Christine Eichel

E-Book (EPUB)
2019 Blessing
432 Seiten
ISBN: 978-3-641-22519-3

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Kurztext / Annotation
Christine Eichelerzählt die fesselnde Geschichte eines Nonkonformisten. Wer war der Mann, der sich mit seinem wichtigsten Mäzen prügelte und seine Köchin schon mal mit faulen Eiern bewarf? Welcher Zusammenhang besteht zwischen seiner leidvollen Kindheit und seiner neuartig emotionalen Musik? Welchen Einfluss hatte seine fortschrittliche politische Haltung auf sein Werk? Warum blieben ihm glückliche Beziehungen verwehrt?Anhand sechs ikonischer Werke und vieler weiterer Kompositionen zeichnet Eichel das Portrait eines Mannes, der kein musikalischer Dienstleister mehr sein will und sich eine Existenz als unabhängiger Künstler ertrotzt. Ebenso kenntnisreich wie mitreißend schildert Eichel Beethovens geistigen Kosmos, berichtet von delikaten Liebeskomplikationen und bizarren Launen, schreibt über notorische Geldnöte und den eruptiven Humor des Komponisten. Jenseits gängiger Mythen wird der Mensch Beethoven auf neue, spannende Weise erfahrbar.



Christine Eichel, 1959 geboren, studierte Philosophie, Literatur- und Musikwissenschaft und wurde mit einer Arbeit über die Musiktheorie von Theodor W. Adorno promoviert. Sie war Fernsehregisseurin, Moderatorin, Gastprofessorin der Universität der Künste Berlin und leitete das Kulturressort des Magazins Cicero. Ihre Sachbücher »Das deutsche Pfarrhaus. Hort des Geistes und der Macht« (2012), »Deutschland, deine Lehrer« (2014), »Deutschland. Lutherland« (2015) und »Der empfindsame Titan. Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke« (2019) erregten großes Aufsehen. Christine Eichel lebt als Autorin und Publizistin in Berlin.



Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

Um es gleich vorwegzunehmen: Abende wie diese kann er auf den Tod nicht ausstehen. Zaudernd steht er vor dem Palais Kinsky, einem prächtigen vierstöckigen Gebäude, dessen Dach weiß schimmernde Skulpturen krönen. Unaufhörlich rollen elegante Equipagen heran, Pferdegetrappel und Stimmengewirr erfüllen den Vorplatz des Palais. Durch das wuchtige Barockportal, flankiert von zwei monströsen Karyatiden, strömt die Crème der Wiener Gesellschaft, um dem mit Spannung erwarteten Klavierduell des heutigen Abends beizuwohnen. Das heißt, es wird wohl eher eine unterhaltsame Hinrichtung werden. In jedem Falle aber ein ungleicher Kampf. Der berühmte Abbé Joseph Gelinek, seines Zeichens Pianist, Komponist und Kaplan in fürstlichen Diensten, tritt an diesem 21. Juni 1798 gegen einen gewissen Ludwig van Beethoven an. Ludwig - wer? Genau. Keiner kennt ihn, niemand hält für möglich, irgendein Nobody könnte den gefeierten Gelinek übertrumpfen. »Diesen fremden Clavieristen wollen wir zusammenhauen«, hat der Abbé schon im Vorfeld getönt. Für den klavierspielenden Theologen steht das Ergebnis des Duells bereits fest.

Für Beethoven auch - falls er überhaupt teilnimmt. Noch immer verharrt er unschlüssig vor dem Palais Kinsky. Warum hat er sich bloß auf dieses unwürdige Schauspiel eingelassen? Die überaus beliebten Pianistenwettbewerbe sind eine Beleidigung für seine empfindsame Künstlerseele. Schließlich ist er Komponist und keine Zirkusattraktion. Ohnehin fühlt er sich fehl am Platz. Das hier ist nicht seine Welt - der Wiener Hochadel mit all dem Prunk und dem gezierten Gehabe. Viel lieber würde er daheim am Klavier sitzen. Oder im Wirtshaus, bei Blutwurst mit Kartoffeln, einem seiner Leibgerichte (siehe KC, S. 537). Noch lieber wäre er jedoch in Paris, der Stadt der glorreichen Revolution. Dort hat man kurzen Prozess gemacht mit den Privilegien, die dem Adel qua Geburt, nicht etwa durch besondere Verdienste zufallen. Im Namen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit wurde die Adelskaste liquidiert. Seitdem hallt die Marseillaise durch Europa, ein unüberhörbarer Abgesang auf die alten Herrschaftsverhältnisse. Nur in Wien tun mal wieder alle so, als sei nichts gewesen.

»Solange der Österreicher noch braun's Bier und Würstel hat, revoltiert er nicht«, murmelt Beethoven (BB, S. 8). Aber solange ich mir jeden Groschen sauer verdienen muss, fügt er innerlich hinzu, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als in die Arena zu steigen und mich entsprechend auszustaffieren, auch wenn es schade um das Geld ist. Allein die schwarzen Seidenstrümpfe haben ihn einen ganzen Dukaten gekostet.

Widerstrebend schließt er sich dem Gästestrom an, der sich gemessen in den Innenhof des Palais schiebt. Verflucht, das Leben in Wien ist kompliziert und teuer. Einer seiner Gönner, Fürst Lichnowsky, hat ihm vor Kurzem angeboten, mittags stets bei ihm zu speisen. Aber da müsste man ja jeden Morgen feine Kleidung anlegen und eigens den Barbier kommen lassen. Natürlich hat Beethoven abgelehnt.

Während er die Marmortreppe des üppig mit Stuck verzierten Stiegenhauses hochschreitet, vorbei an livrierten Dienern und mannshohen Kandelabern, ballt er unwillkürlich die Fäuste. Niemand ahnt, wie sehr er es verabscheut, sich in Gesellschaft am Klavier zu produzieren. Besonders wenn man ihn dazu drängt. So wie neulich bei einem Empfang des Fürsten Lichnowsky.1 Die Schwiegermutter des Fürsten, die alte Gräfin Thun hat sogar auf den Knien vor ihm gelegen und gefleht, er möge doch etwas spielen (siehe KC, S. 60). Gänzlich unbeeindruckt ist er in seiner Sofaecke sitzengeblieben und hat der untröstlichen Dame eine Abfuhr erteilt. In seiner Situation ist das in etwa so absurd, als würde sich ein Meisterkoch weigern, seine kulinarischen Kreationen zu servieren. Aber muss er sich deshalb gleich zum musikalischen Lakaien degradieren lassen?