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Liebwies

Roman | Irene Diwiak

E-Book (EPUB)
2017 Deuticke
336 Seiten
ISBN: 978-3-552-06359-4

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€ 12,99

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Kurztext / Annotation
1924: Der bekannte Musikexperte Christoph Wagenrad hat sich in die junge Gisela Liebwies verliebt, die seiner verstorbenen Frau, einer berühmten Pianistin, ähnlich sieht. Obwohl unbegabt, soll sie nun ebenfalls zum Star aufgebaut werden. Durch Erpressungen seitens Wagenrads schafft sie es ans Konservatorium und erhält sogar die Hauptrolle bei der Abschlussdarbietung. Dass die dafür komponierte Oper, bei der die Hauptdarstellerin fast ohne Stimme auskommt, nicht von August Gussendorff stammt, der sich dafür feiern lässt, sondern von seiner Frau Ida, muss ja auch niemand erfahren. Eine herrlich bösartige Geschichte über falschen Glanz, die Gier nach Ruhm - und wahre Schönheit, die mit alldem nichts zu tun hat.

Irene Diwiak wurde 1991 in Graz geboren und wuchs in Deutschlandsberg/Steiermark auf. Sie studierte Komparatistik in Wien. Ihre Texte wurden bereits vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Debüt Liebwies bei Deuticke im Herbst 2017.

Beschreibung für Leser
Unterstützte Lesegerätegruppen: PC/MAC/eReader/Tablet

4.

Die Volksschule stand als Denkmal mariatheresianischen Wohlwollens direkt neben der St.-Anna-Kirche und strahlte fast jugendliches Flair aus. Die Fassade war weiß wie die der Kirche, während die anderen Häuser in Liebwies ungestrichene Holzbauten waren; das Dach aus echten Ziegeln, wohingegen die anderen Häuser nur mit Stroh oder Holzbrettern bedeckt waren. Ging man durch die hölzerne Eingangstür hinein, so stand man mitten im einzigen Klassenzimmer. Wegen der winzigen Fenster war es dort immer dunkel, und viele der einst sehr feinen Möbelstücke hatten die Jahre nicht gut überstanden: Hier und da fehlten Tisch- oder Stuhlbeine und waren durch beliebige Bretter ersetzt worden, manchmal nicht einmal das. Die Tafel hatte einen Sprung in der Mitte, und der Fußboden war schmutzig. Nichts von dem ordentlichen äußerlichen Eindruck war im Inneren zu finden.

Seit dem Jahr, in dem ein Gesandter der Kaiserin sich mit dem Auftrag, Schulen in die entlegensten Gegenden des Reiches zu bringen, nach Liebwies verirrt hatte, hatte es keinerlei Renovierung gegeben (wenn man von dem provisorischen Erneuern der verheizten Tisch- und Stuhlbeine absah). Auch der kleine Kamin stammte aus einer Zeit, als Liebwies noch nicht vergessen gewesen war. Er hatte die verheizten Möbelteile in eine dünne Rußschicht verwandelt, die sich über den gesamten Fußboden, alle Wände, Tische und Stühle zog.

Köck musste husten, als er dieses Klassenzimmer zum ersten Mal betrat. Es roch, als hätte seit Jahren niemand ein Fenster oder die Tür geöffnet. Die Luft schien bis zur völligen Erschöpfung zirkuliert zu haben und hing nun müde von der Decke. Nicht einmal ein Spinnennetz war zu finden, so verödet war das Klassenzimmer.

Köck zweifelte an seiner Entscheidung. Er hatte sich das Landleben nicht leicht, aber lebhaft vorgestellt. Er wollte gesunde, runde Menschen in bunten Tüchern, wie er sie im Zug gesehen hatte. Dieses Klassenzimmer war völlig abgestorben. Man könnte meinen, dachte Köck, der ganze Krieg, der dieses Dorf nicht einmal angehaucht hat, habe in diesem Schulzimmer stattgefunden.

Sein erster Impuls war es, in der Tür umzudrehen und sich mit geborgtem Geld auf den Weg zurück in die Stadt zu machen. Dort könnte er wieder unehrliche Monologe über seine traurige Vergangenheit halten, vielleicht sogar ein Buch schreiben, eine Autobiografie vollgestopft mit Blut und Gewalt, ein Verkaufsschlager ...

Er blieb. Die Tür ließ er hinter sich geöffnet, damit etwas frische Luft und Licht in das Zimmer fallen konnte, und trat ein paar Schritte weiter in den grausigen Raum.

Dann erschrak er. In diesem toten Zimmer, in dem er nicht einmal eine Kakerlake vermutet hätte, saß ein junges Mädchen und schlief, mit dem Kopf auf der Tischplatte ruhend. Im fahlen Licht konnte er nicht sehr viel mehr erkennen als das krause, dunkle Haar und dass das Mädchen eindeutig zu alt war für die Volksschule. Vielleicht ist sie die Hausmeisterin, dachte Köck und zündete die schon fast niedergebrannte Kerze an, die auf dem Lehrerpult stand. Da der Raum nicht groß war, erhellte er sich abrupt, und das Mädchen erwachte mit einem grellen Schrei.

»Ich habe nicht geschlafen!«, rief sie und wischte dabei das Buch, das ihr als Kissen gedient hatte, vom Tisch. Sofort bückte sie sich danach, griff aber einige Male daneben, ohne es in die Finger zu bekommen.

Für ein Mädchen ihres Alters war sie ungewöhnlich hässlich, fand sogar Köck, den an Frauen eigentlich immer eher der praktische Wert interessiert hatte. Aber er war es doch gewohnt, dass gesunde junge Mädchen ganz von selbst einen gewissen Reiz hatten, auch wenn sie vielleicht nicht den gängigen Idealen entsprachen. Dieses Mädchen allerdings entbehrte jeder Attraktivität: Es war ungewöhnlich groß und breitschultrig, hatte ein flaches, breites Gesicht mit winzigen Augen und wildes Haar, welches in zwei ungleich große Zöpfe geflochten war. Seine Bewegungen waren behäbig, irgendw